Andrew J. Mitchell: Heidegger unter Bildhauern. Körper, Raum und die Kunst des Wohnens

Heidegger unter Bildhauern. Körper, Raum und die Kunst des Wohnens Book Cover Heidegger unter Bildhauern. Körper, Raum und die Kunst des Wohnens
Heidegger Forum 15
Andrew J. Mitchell. Aus dem Englischen von Peter Trawny
Klostermann
2018
Paperback 24,80 €
150

Reviewed by: Giovanna Caruso (University of Koblenz-Landau)

Die Rolle des Raumes, der bislang in Heideggers Denken neben jener der Zeit bzw. der Zeitlichkeit kaum wahrgenommen wurde, ist in den letzten Jahren immer häufiger in den Fokus der Forschung gerückt worden. Es wird dabei betont, dass vor allem die kleinen Schriften über die Kunst, die im Laufe der 1960er Jahre anlässlich von Heideggers Begegnung mit einigen zeitgenössischen Künstlern entstanden sind, von einem starken Interesse Heideggers am Phänomen des Raumes zeugen. Denn diesen Texten lässt sich eine Raumauffassung entnehmen, die im Vergleich zur Räumlichkeit des Daseins in Sein und Zeit oder auch zur Konzeption des Raumes als Wohnen in den 1940er und 1950er Jahren neue Verhältnisse zwischen Raum und Zeit, Raum und Dasein, Raum und Körper und nicht zuletzt zwischen Raum und Welt entstehen lässt. In diesem Forschungskontext, der der Spur des späten Heidegger auf der Suche nach seiner revidierten Raumauffassung folgt, verortet sich auch Andrew J. Mitchells Heidegger unter Bildhauern. Körper, Raum und die Kunst des Wohnens. Wie der Titel bereits verrät, stellt Mitchell Heideggers Konzeption des Raumes in seinem Verhältnis zum Körper und zur Kunst – insbesondere zur plastischen Kunst – dar. Zu diesem Zweck untersucht und interpretiert er in Anlehnung an Heideggers Denken die Werke der Bildhauer Ernst Barlach, Bernhard Heiliger und Eduardo Chillida, denen er jeweils ein Kapitel widmet.

Der erste Satz des Buches fasst implizit seinen Ausgangspunkt und sein Ziel zusammen: „Die Bildhauerei lehrt uns, was es heißt, in der Welt zu sein.“ (9) Eine fragwürdige, sehr allgemeine und sogar tendenziöse Annahme – könnte man denken. Auch die Erklärung, die der Autor kurz darauf vorschlägt – „In dieser Welt zu sein heißt stets, einen materiellen Raum von Strahlung zu betreten.“ (9) –, bleibt erklärungsbedürftig. Wenn man aber die Ungenauigkeit dieser Annahme vorläufig akzeptiert und sich von ihr durch den Text leiten lässt, wird im Laufe der Lektüre verständlich, dass dieser vermeintlich unverständliche Ansatz das Programm des gesamten Werkes Mitchells zum Ausdruck bringt. Denn dem Schlüsselbegriff ‚Grenze‘ folgend, will der Autor in seinem Buch zeigen, dass Heidegger durch eine Auseinandersetzung mit der Bildhauerei eine Raumkonzeption entwickelt, auf Basis derer der Unterschied zwischen Raum und Kunst aufgehoben wird. Mitchell zeigt darüber hinaus, dass, indem Raum zur Kunst und Kunst zum Raum wird, Heidegger ein neues Verständnis des Verhältnisses des Daseins zu seinem Wohnend-Sein bzw. zu seinem In-der-Welt-Sein entwirft.

Um die Entwicklung und zugleich die Ergebnisse der Heideggerschen Auseinandersetzung mit dem Raum-Begriff von den 1920er bis zu den 1960er Jahren darstellen zu können, gliedert Mitchell sein Werk in fünf chronologisch aufeinanderfolgende Teile. Auf eine lange Einleitung, die von Sein und Zeit (1927) über die Kunstwerksabhandlung (1935) bis zu den späten 1960er Jahren durch die bedeutendsten Etappen das Verhältnis von Dasein, Kunst und Raum im Denken Heideggers rekonstruiert, folgen drei aufeinander aufbauende Kapiteln, die die Zusammenhänge zwischen dem Denken Heideggers und der Kunst Ernst Barlachs (1.Kapitel), Bernhard Heiligers (2. Kapitel) und Eduardo Chillidas (4. Kapitel) untersuchen. Das dritte Kapitel hingegen ist einen Exkurs über Heideggers Vortrag Die Herkunft der Kunst und die Bestimmung des Denkens. Eine Darstellung dieser Abschnitte wird im Folgenden jene Aspekte fokussieren, die Mitchel zufolge für die Entwicklung des Denkens Heideggers in Bezug auf das Verhältnis von Raum, Kunst und Mensch eine besonders wichtige Rolle spielen.

Statt den Leser in das Thema des Buches einzuführen oder einen systematischen bzw. historischen Hintergrund zur Orientierung zu umreißen, versetzt die Einleitung ihn sofort ins Zentrum der Betrachtung. Durch eine Sprache, die deutlich eine starke Beeinflussung durch Heideggers Stil erkennen lässt, gewinnt der Leser einen unmittelbaren Zugang zur Thematik des Werkes: das neue Verhältnis von Körper und Raum, das sich deutlich in den Vorträgen und kleineren Schriften Heideggers der 1960er Jahre zeigt. Schon die ersten Seiten des Werkes entwerfen eine innovative Interpretation der Entwicklung der Raumauffassung im Denken Heideggers. Denn Mitchell stellt keinen Bruch zwischen der Raumauffassung von Sein und Zeit und jener der späten 1960er Jahre fest. Er vertritt vielmehr eine Kontinuitätsthese: Die in den 1960er Jahren von Heidegger entwickelte Auffassung des Raumes und seines Verhältnisses zum Körper „schreitet“ laut Mitchell „auf einem Denkweg durch Sein und Zeit zur Abhandlung über ‚den Ursprung des Kunstwerks‘“. (10) Damit bestreitet Mitchell jedoch nicht, dass sich die Raumkonzeption Heideggers im Laufe seines Denkens deutlich verändert hat. Er plädiert aber für die These, dass Heideggers Werke der 1920er und 1930er Jahre den Kern seiner späteren Raumauffassung bereits in sich tragen. Eben diese kontinuierliche Entwicklung des Heideggerschen Raumverständnisses wird von Mitchell in der Einleitung auf kurze und prägnante Weise dargestellt. Er zeigt zuerst, dass die Auffassung des Raumes in Sein und Zeit Grenzen aufweist, die seiner Analyse zufolge dadurch entstehen, dass Heidegger die Räumlichkeit des Daseins „vom daseinsmäßigen Nutzen des Zeugs (des ‚Zuhandenen‘) her“ (13) denkt. (Vgl. 11–17) Aufgrund dessen bleibe der Raum in Sein und Zeit ausschließlich ein funktionaler Raum, dessen Existenz vom handelnden Menschen abhängig ist. (Vgl. 17) In einem zweiten Schritt zeigt Mitchell, wie Heidegger die Auffassung eines funktionalen Raumes überwindet und im Kunstwerksaufsatz eine Konzeption entwickelt, die auf einem vom Dasein unabhängigen Raum basiert. (Vgl. 17-24) Diese neue Idee eines autonomen, „anti-utilitaristischen“ (21) Raumes wird Mitchell zufolge im Kunstwerksaufsatz im Schlüsselbegriff ‚Erde‘ expliziert: „Erde nennt eine exzessive und abgründige Phänomenalität, eine Erscheinung, die auf keiner unterliegenden Substanz beruht.“ (19) Auf dieser veränderten Auffassung des Raumes, die nun von Heidegger als Erscheinung bzw. als Lichtung der Wahrheit (vgl. 21) verstanden wird, basieren Mitchell zufolge die Veränderungen in Bezug auf das Verhältnis von Körper und Raum, die sich in Heideggers Denken in den 1960er Jahren anlässlich seiner Auseinandersetzung mit den Plastiken verschiedener Künstler äußern.

Vor dem Hintergrund der dargestellten Entwicklung untersucht Mitchell im ersten Kapitel seines Buches (vgl. 31-48) den Zusammenhang zwischen dem Spätdenken Heideggers und der Kunst Ernst Barlachs. Der Begriff der Seinsverlassenheit bildet dem Autor zufolge das Bindeglied zwischen Heideggers Denken und Barlachs Kunstwerken. In diesem Zusammenhang deutet Mitchell Verlassenheit als „Weg, Sein als weder völlig präsent (es hat Seiendes verlassen) noch als völlig absent zu verstehen“ (33) und somit das Seiende als „etwas Offenes, das in die Welt ausgeschüttet ist“, (34) zu erfahren. Die stark metaphorischen, fast poetischen Züge der Sprache Mitchells beeinträchtigen bisweilen ein systematisches, eindeutiges Verständnis des Textes. Dennoch lässt sich Mitchells Interpretation der Werke Barlachs in Bezug auf Heideggers Denken erkennen: Indem die formlosen Körper-Skulpturen Barlachs ein Seiendes ohne bestimmte Grenze bzw. ein offenes, nicht abgeschlossenes Objekt verkörpern, stellen sie laut Mitchell die Spannung zwischen Präsenz und Absenz dar, die der Seinsverlassenheit eigen ist, und werden somit als Ausdruck der „Unbestimmtheit des irdischen Lebens“ (43) gedeutet. Außerdem betont Mitchell, dass eine implizite Kritik an der Welt der Technik und am Formideal des Nationalsozialismus als deren Konsequenz vorgenommen wird: „Barlachs Skulpturen sind mehr geformt als jeder Nazi-Körper es sein könnte, gerade durch ihre Weigerung, Form zu verdinglichen oder zu kristallisieren und sie von ihren sie ermöglichenden Bedingungen abzuziehen.“ (47)

Dieses Verhältnis von Raum und Körper, das die formlosen, offenen Skulpturen Barlachs bereits implizit thematisieren, wird zum Hauptthema in Heideggers Rede Bemerkungen zu Kunst-Plastik-Raum, die er 1964 anlässlich seiner Auseinandersetzung mit den Kunstwerken Bernhard Heiligers gehalten hat. Auf Basis dieses Textes zeigt Mitchell im zweiten Kapitel seines Buches (vgl. 49–72), dass Heidegger das Verhältnis von Kunst und Raum eindringlich untersucht, dass er grundlegende Fragen über die Möglichkeit einer Auseinandersetzung mit dem Raum für den Künstler aufwirft und dass dabei auch das Verhältnis von Körper und Raum zunehmend an Bedeutung gewinnt. Bei dem Versuch, dieses Geflecht von Verhältnissen, Bezügen, Verweisen und Zusammenhängen zwischen Kunst, Raum und Körper zu entwirren, entwirft Heidegger laut Mitchell eine neue Auffassung des Raumes, die dazu zwingt, auch seinen Bezug zur Kunst und zum Dasein neu zu denken. Gegen die klassische Raumauffassung, die die Definition des Raumes mit den Körpern verbindet, zeigt Mitchell, dass Heidegger den Raum vom Raum und nicht vom Körper her denkt. Auf dieser Weise definiert Heidegger den Raum als Räumen. Dies ermöglicht, „Raum nicht länger abstrakt und homogen, sondern selbst schon sich versammelnd und furchend und ausstreckend und zurückschnappend in Gebiete, Fernen, Richtungen und Schranken“ (58) zu denken. Diese neue Raumauffassung fordert, dass auch das Verhältnis von Dasein und räumendem Raum vom Raum her gedacht wird – und nicht mehr wie in Sein und Zeit vom Dasein her. Aus dieser Perspektive neu gedacht, lässt sich Mitchell zufolge das Verhältnis von Dasein und Raum als ein sich gegenseitiges Durchdringen und Prägen verdeutlichen. (Vgl. 60) Entsprechend heißt In-der-Welt-Sein, dass das Dasein durch die Welt geprägt ist und dass sich die Welt konsequenterweise, wenn auch verdeckt, in jedem Dasein zeigt. Eben dieses unsichtbare Verhältnis des Menschen zur Welt und zugleich die unsichtbare Präsenz der Welt in jedem Menschen werden laut Mitchell von Heidegger in Heiligers Kopf-Werken zum Ausdruck gebracht: „Wenn der Künstler einen Kopf modelliert, so scheint er nur die sichtbaren Oberflächen nachzubilden; in Wahrheit bildet er das eigentlich Unsichtbare, nämlich die Weise, wie dieser Kopf in die Welt blickt, wie er im Offenen des Raumes sich aufhält, darin von Menschen und Dingen angegangen wird.“ (61) In diesem Verhältnis von Welt und Mensch kommt den Begriffen des Zwischen, der Bewegung und der Relationalität in der Argumentation Mitchells besondere Relevanz zu. (Vgl. 63–67) In Anlehnung an den kurzen Dankesbrief, den Heidegger nach einem Besuch des Heiligers Ateliers schrieb, (vgl. 63) und auf Basis einiger Bemerkungen Heiligers, der selbst seine Skulpturen als Kunstwerke in Bewegung bzw. als etwas Offenes, in dem Offenheit waltet und Welt erscheint (vgl. 63), beschreibt, deutet Mitchell die Welt als Zusammengehörigkeit von Menschen und Dingen bzw. als ein geheimnisvolles Dazwischen. (Vgl. 65–66) Dadurch will Mitchell an den Werken Heiligers zeigen, welche Deutung von Welt und Mensch sich aus der Heideggerschen Auffassung des Raumes als Räumen ergibt. Der Versuch Mitchells, diese Idee der Welt als Zwischen und ihre Bedeutung für den Menschen zu verdeutlichen, wird jedoch durch seine literarische Sprache, die das Verständnis erschwert, ausgedrückt: Mitchell schreitet an dieser Stelle seiner Betrachtung durch intuitive Verbindungen zwischen den Sätzen, er bedient sich metaphorischer Bilder, die schnell aufeinanderfolgen und die intuitiv aufeinander verweisen. Der Diskurs scheint existenziell poetische Gedanke hervorrufen und das Terrain des philosophischen Argumentierens bzw. der Kunstkritik verlassen zu wollen. Diese existenzielle Richtung verstärkt sich im nachfolgenden Paragraph ‚Artikulation 2: Verfall und Erosion‘. (Vgl. 67–72) Mitchell betont, dass die Kunstwerke Heiligers, die die Relationalität zwischen Mensch und Welt ausdrücken, „die Tatsache [attestieren], dass Bewegung ein Abnutzen ist“. (67) In diesem Sinne expliziert der Autor weiter, dass „ein Werden hin zu etwas […] ein Werden weg von etwas“ (67) ist. Eben dieses Thema der ‚Distanzierung von etwas‘ wird von Mitchell in seiner Deutung der Werke Heiligers betont, weil er darin den Ausdruck einer grundlegenden Weise des In-der-Welt-Seins sieht. Ausgehend von dieser Deutung der Werke Heiligers bringt Mitchell einen anderen Wesenszug des Verhältnisses von Mensch und Welt zum Ausdruck. Denn die Welt wird nun nicht als etwas verstanden, das den Menschen prägt, sondern als etwas, das uns verbraucht bzw. „erodiert“: (68) Insofern Mensch und Welt sich gegenseitig durchdringen und prägen und sich daher in einer ständigen Bewegung bzw. einem ständigem Werden befinden, das nicht nur ein Werden zu etwas, sondern auch ein ‚Weg von etwas‘ ist, verbraucht die Welt den Menschen. Mit den folgenden Worten drückt Mitchell diesen Gedanken in all seiner Radikalität aus: „Wir sind durch Welt verwittert, erodiert im Zwischen. Unsere Absprache besteht darin, gemeinsam zu erodieren.“ (68) Indem die Skulptur den Menschen in diesem Zwischen hält – so Mitchell weiter – und Verbindung zwischen Mensch und Welt stiftet und daher Mensch und Welt verändert, erweist sich die Skulptur für diesen Erosionsprozess des Menschen als mitverantwortlich. (Vgl. 71)

Bevor Mitchell auf das Verhältnis des Heideggerschen Denken und der Kunst Eduardo Chillidas eingeht – ein Verhältnis, das dem Autor zufolge eine weitere Entwicklung des Verhältnisses von Raum, Körper und Kunst im Denken Heideggers darstellt –, setzt sich Mitchell in einem kurzen Exkurs mit Heideggers Die Herkunft der Kunst und die Bestimmung des Denkens auseinander. (Vgl. 73–81) Mit der Interpretation Mitchells, die ausgehend vom Blick Athenas auf die Steingrenzen (vgl. 77) darauf zielt, die Zusammengehörigkeit von τέχνη und ϕύσις im Denken Heideggers zu begründen, ist die Heidegger-Forschung längst vertraut. „Der Ruf der ϕύσις ist“, schreibt Mitchell, „für die menschlichen Werke also eine Einladung die Welt zu prägen, doch zugleich auch sich selbst von der Welt prägen zu lassen.“ (80) Besonders interessant und originell ist dagegen der Gedanke, dass das Bas-Relief in einer ausgezeichneten Weise diese Zusammengehörigkeit von ϕύσις und τέχνη bzw. von Natürlichem und Künstlichem zum Ausdruck bringt. (Vgl. 80) Diesbezüglich weist Mitchell darauf hin, dass es vielleicht kein Zufall ist, dass die drei Bildhauer, mit denen Heidegger sich auseinandergesetzt hat, im Relief arbeiten. (Vgl. 80)

Im vierten Kapitel seines Werkes stellt Mitchell den letzten Schritt und daher das endgültige Ergebnis der Auseinandersetzung Heideggers mit dem Raum und dem Körper dar, das Heidegger laut Mitchell 1968 anlässlich der Begegnung mit den Kunstwerken Chillidas entwickelt hat. (Vgl. 83–109) Der grundlegende Gedanke dieses Schritts und der Wandel im Verhältnis zur vorherigen Raumkonzeption Heideggers besteht Mitchell zufolge darin, dass, indem Heidegger eine physikalische bzw. metaphysische Auffassung von Raum explizit ablehnt, jeder Unterschied zwischen Kunst und Raum aufgehoben wird. Wenn daher die Werke Barlachs und Heiligers noch von einer Trennung von Raum und Kunst zeugen, die auf unterschiedliche Art und Weise überbrückt wird, konstatiert Heidegger anlässlich der Begegnung mit den Werken Chillidas, dass eine solche Trennung und konsequenterweise eine Überbrückung der Lücke zwischen Kunst und Raum überhaupt nicht denkbar ist. (Vgl. 84–86) Denn Kunst ist keine „Besitzergreifung des Raumes“ (84), sondern sie ist schon immer ein räumender Raum, ein Ort gewordenen Räumens. Diese radikal neue Konzeption des Raumes und seines Verhältnisses zur Kunst bewirkt – so Mitchell – Veränderungen in der Auffassung des Verhältnisses von Raum, Werkzeug und Kunstwerk, von Raum und Menschen, von Raum und Sprache und von Raum und Körper. In Bezug auf das Werkzeug behauptet Mitchell, dass die Funktion des Werkzeugs als Medium zwischen Künstler und Materie in Frage gestellt wird. (Vgl. 91) Denn es gibt keine Leere mehr zwischen den beiden, die durch Werkzeuge gefüllt bzw. überbrückt werden muss. Mitchell verdeutlicht des Weiteren, inwiefern sich auch der Bezug des Daseins zum Raum ändert: Das Dasein verliert sein Privileg als Handelnder, der Räume bildet, stiftet, eröffnet oder ermöglicht. Vielmehr wird das Dasein vom Räumen des Raumes gedacht und ist daher schon dem All des Seienden zugehörig. (Vgl. 100-104) Inwiefern sich auch das Wesen der Sprache in Bezug auf diese neue Raumkonzeption verändert, wird von Mitchell nicht ausführlich erklärt. Er stellt in Heideggers Versuch, den Raum etymologisch zu erhellen, lediglich eine „Betonung der Sprache“ (105) fest. Diesbezüglich sagt er sogar: „‚Kunst und Raum‘ bringt uns dazu, eine Zwiefalt zu denken: dass Raum sprachlich und Sprache räumlich sei.“ (105) Leider erklärt Mitchell nicht, wie genau diese von ihm behauptete Zusammengehörigkeit oder sogar Identität von Raum und Sprache zu verstehen ist. Erklärungsbedürftig bleibt bedauerlicherweise auch die Verbindung, die Mitchell in den letzten Sätzen dieses Abschnittes zwischen Körper, Raum und Wahrheit herstellt. (Vgl. 108–109) Außerdem ist auf eine Irritation zu verweisen, mit der sich der Leser bei der Lektüre dieses Kapitels konfrontiert sieht. Im dritten Teil dieses Kapitels mit der Überschrift ‚Setzen Bringen Zusammenarbeiten‘ (94–99) setzt sich Mitchell mit dem Unterschied zwischen dem ‚sich-ins-Werk-Setzen‘ und dem ‚ins-Werk-Bringen‘ der Wahrheit in der Kunst auseinander. Der Autor macht darauf aufmerksam, dass – wie Heidegger selbst im ‚Zusatz‘ zu Der Ursprung des Kunstwerks bemerkt – in der Entwicklung des Heideggerschen Denkens ein Wandel vom Setzen zum Bringen stattfindet. (Vgl. 94) Dieser Wandel wird jedoch von Mitchell darin identifiziert, dass ‚Setzen‘ ein Moment von Gewalt mit sich bringe, während ‚Bringen‘ etwas Weicheres darstellt, indem es eine Begleitung und nicht eine Gewalt betone. (Vgl. 97) Aus diesem Grund erklärt der Autor: „Die Wahrheit des Werkes erscheint daher in ‚Kunst und Raum‘ weniger insistent als in ‚Der Ursprung des Kunstwerkes‘.“ (97) Dabei übersieht Mitchell aber den bedeutendsten Unterschied zwischen den beiden Ausdrücken, der darin besteht, dass der erste (sich-ins-Werk-Setzen) reflexiv ist und der zweite (ins-Werk-Bringen) eben nicht. Und dies bewirkt eine grundlegende Veränderung des Verhältnisses von Wahrheit und Kunst und konsequenterweise auch eine Veränderung der Rolle des Künstlers. Denn während die Wahrheit im Kunstwerksaufsatz als die ‚sich-Setzende‘ aktiv im Kunstwerk erscheint bzw. geschieht, gewinnt der Künstler in den späteren Auffassung Heideggers eine viel stärkere Rolle, indem er die Wahrheit ins Werk bringt.

Das abschließende Kapitel fasst die Ergebnisse der vorhergehenden Kapitel zusammen und zeichnet dadurch den Weg, auf welchem Heidegger ausgehend von der Begegnung mit den formlosen Körpern Barlachs über jene mit den Köpfen Heiligers bis zu der Auseinandersetzung mit den Vögeln Chillidas seine Raumauffassung in den 1960er Jahren entworfen hat. Vor dem Hintergrund dieser neuen Raumkonzeption versucht Mitchell auf den letzten zwei Seiten, den Menschen in den Mittelpunkt der Betrachtung zu stellen und sein Verhältnis zu sich selbst, zu den anderen, zu seinem In-der-Welt-Sein und zur Wahrheit neu zu konturieren. Leider zeichnet sich auch dieser Abschnitt durch eine sehr kryptische Sprachverwendung aus. Aufgrund dessen bleibt es schwer nachvollziehbar, inwiefern Mitchell das aus der neuen Raumsauffassung entstandene Verhältnis von Mensch, Plastik und Raum als eine Aufforderung für den Menschen, sein Leben zu ändern, versteht. (Vgl. 114)

Abgesehen von diesen Unklarheiten der Darstellung trägt das Buch zweifellos zur Klärung der in der Heidegger-Forschung tendenziell vernachlässigten Thematik des Raumes bei und ergänzt diese um interessante Überlegungen und Denkanstößen. Denn Mitchell unternimmt in seinem Buch den gewagten Versuch, auf Basis sehr kurzer und zuweilen unsystematischer Texte des späten Heidegger eine systematische Raumkonzeption darzustellen. Es gelingt Mitchell jedoch nicht immer, die Schwierigkeiten zu umgehen, die ein solches Vorhaben unvermeidlich mit sich bringt. An einigen Stellen erweckt der Text den Eindruck, als ob der Autor, indem er in Anlehnung an die Texte Heideggers und mithilfe seiner Begrifflichkeit die Werke der drei Bildhauer deutet, ihnen Inhalte, Bedeutungen oder Verweise zuspricht, die diesen Kunstwerken andernfalls nicht zukommen. Eine andere Schwierigkeit, auf die bereits hingewiesen wurde, ist die Sprachverwendung. Oft wird eine sehr poetische Sprache verwendet: Einige Zusammenhänge und Verweise werden intuitiv aufgebaut und daher bleiben einige Gedanke erklärungsbedürftig. Auf Grund dessen entsteht der Eindruck, als habe sich der Autor nicht immer bemüht, seine Überlegungen zu erklären, und es stattdessen vorgezogen, á la Heidegger mit der Etymologie der Worte zu spielen und seinen Diskurs durch intuitive Verbindungen aufzubauen. Dies macht einige Textpassagen auch für den Heidegger-Kenner sehr schwer verständlich. Ob und inwiefern die Übersetzung Trawnys zu diesen Schwierigkeiten beiträgt, bleibt unklar. Außerdem lassen sich einige Ungenauigkeiten in der Auslegung der Texte Heideggers feststellen.

Trotz dieser kritischen Anmerkungen ist der Versuch Mitchells lesenswert. Denn der Leser erhält durch das Werk nicht nur einen Überblick über die kontinuierliche Entwicklung des Denken Heideggers über den Raum von Sein und Zeit bis zu den späten 1960er Jahren, sondern dem Leser werden darüber hinaus zahlreiche interessante Deutungsperspektiven des Heideggerschen Denkens angeboten, die sich als originell erweisen und über die Betrachtung Mitchells hinaus für eine Auseinandersetzung mit den Themen Raum, Dasein, Welt und selbstverständlich auch Kunst im Rahmen des Spätdenkens Heideggers fruchtbar gemacht werden können.

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