Giovanni Jan Giubilato: Freiheit und Reduktion. Grundzüge einer phänomenologischen Meontik bei Eugen Fink (1927-1946)

Freiheit und Reduktion. Grundzüge einer phänomenologischen Meontik bei Eugen Fink (1927-1946) Book Cover Freiheit und Reduktion. Grundzüge einer phänomenologischen Meontik bei Eugen Fink (1927-1946)
Ad Fontes, Vol. 8
Giovanni Jan Giubilato
Verlag Traugott Bautz
2017
Hardback 45,00 €
262

Reviewed by: Cathrin Nielsen (Frankfurt / Eugen-Fink-Zentrum Wuppertal – EFZW)

Die in der Reihe Ad Fontes vorgelegte herausragende Studie von Giovanni Jan Giubilato befasst sich mit der Freilegung und Ausbuchstabierung einer Zusammengehörigkeit, die bereits bei Husserl angelegt ist, jedoch erst im Denken seines Schülers und Assistenten Eugen Fink explizit in Erscheinung tritt: dem dialektischen Aufeinanderverwiesensein von Reduktion und Freiheit. Finks Grundgedanke besteht darin, dass der immer neu zu vollziehende Entwurf der menschlichen Freiheit den eigentlichen Kerngedanken der Phänomenologie markiere: die Reduktion als diejenige Bewegung, die uns von der natürlichen Einstellung befreit und ihre Beschränktheit überwinden lässt. Das originäre Telos der Philosophie ist somit die Freiheit des Menschen, nicht formal, sondern als „transzendentale“, absolute Dimension wie zugleich in existenzieller Je-Meinigkeit.

Giubilato entfaltet diesen Gedanken im Durchgang durch die frühe phänomenologische Meontik Finks, die in Form von zahllosen Notizen – durchgespielten, weiterverfolgten oder aber verworfenen Denkansätzen – seit 2006 in den von Ronald Bruzina im Rahmen der Eugen Fink-Gesamtausgabe edierten Bänden Phänomenologische Werkstatt (3.1 und 3.2) vorliegen. Dabei konzentriert sich Giubilato auf die Jahre der Zusammenarbeit mit Husserl und damit auf die Profilierung von Finks eigenem philosophischem Standpunkt. Zugleich hat er immer auch das Spätwerk im Blick und bahnt fruchtbare Schneisen in Finks Kosmologie. Gerade zu Klammer und Kontinuität zwischen Finks Denken vor und nach der Zäsur des Zweiten Weltkrieges gibt es bislang nahezu keine monografischen Arbeiten, so dass mit Giubilatos Dissertation ein unverzichtbarer Grundstein gelegt sein dürfte.

Im ersten Kapitel (Von der Transzendentalphilosophie zur Meontik) wird Finks in kritischer Auseinandersetzung mit dem transzendentalen Idealismus Husserls entwickelte Idee einer me-ontischen Philosophie entfaltet. Nach Fink ist diese bei Husserl bereits in Andeutungen vorhanden, ohne dass dieser jedoch den Schritt zur „meontischen Natur der absoluten Subjektivität“ zu Ende gehe. In ihr verschiebt sich die Frage nach der Selbstkonstitution eines absoluten Bewusstseins zu der nach dem Verhältnis zwischen dem nicht seienden Absoluten (me on) und der seienden Welt. Für Fink heißt dieses Verhältnis von Absolutem und seiner weltlichen Erscheinung „Freiheit“. Demzufolge sei die Idee einer me-ontischen Phänomenologie des Absoluten grundsätzlich eine „Lehre von der Freiheit“, deren Auslegung dann die zwei Hauptteile der Untersuchung gewidmet sind.

Warum Freiheit? Damit beschäftigt sich das zweite Kapitel (Der Anfang der Philosophie und die Freiheitsproblematik). Die Frage nach einem methodisch gesicherten Anfang der Philosophie, den Husserl im Blick auf das Ideal der Wissenschaft formulierte, wird bei Fink sukzessive aus seiner nach-cartesischen Verankerung im ego cogito herausgelöst und im Hinblick auf das Problem der Welt enggeführt. Welt erscheint nun nicht mehr als Korrelat einer transzendentalen Subjektivität, sondern als dasjenige, das uns zu einer Besinnung auf unseren Ort aufruft, unserer Verortung sowohl in der Entsprungenheit der binnenweltlichen Manifestation als auch im Unendlichen bzw. dem me-ontischen Ursprung von Welt selbst. Es ist diese Differenz zwischen Absolutem und Endlichem, welche die menschliche Situiertheit in der Welt ausmacht und zugleich die erste Motivation der Philosophie darstellt: als Besinnung auf das im Endlichen ,vergessene‘ Unendliche, das Apriori der Welt, das als me-ontisches nicht in Erscheinung tritt. Diese Besinnung ist im Vollzug Freiheit, da sie die natürliche Einstellung sprengt. Wodurch aber wird die Freiheit zu dieser ,Sprengung‘ motiviert? Mit dieser Frage befasst sich das dritte Kapitel (Die radikale Unmotiviertheit der Philosophie und die Freiheit). Im Horizont der wesenhaft geschlossenen natürlichen Einstellung gibt es nämlich „kein Problem, als dessen Beantwortung sich die Phänomenologie herausstellen könnte“. Das Übersteigen des Endlichen kann mit anderen Worten seinerseits nicht endlich motiviert sein, sondern markiert den Einbruch des Absoluten in die Welt: „Fink bestimmt die Besinnung auf die Weltsituation als eine Er-Innerung. Sie ist in der Tat eine recordatio, eine Anamnesis des vergessenen Weltapriori.“ Die ihr entsprechende Grundstimmung ist nach Fink das Staunen (thaumazein), wobei sich diese Stimmung der Verfügbarkeit menschlicher Freiheit entziehe – wir werden vom Staunen „ergriffen“.

Der zweite Teil der Studie befasst sich folglich mit dem Schlüsselbegriff der phänomenologischen „Meontik als Freiheitslehre“: der „Reduktion als Befreiung“. Im vierten Kapitel (Die Reduktion und ihre Situation) wird nach den Ausgangsbedingungen dieses Vollzuges der Befreiung gefragt, den Fink über eine Analyse der Medialität des Bildbewusstseins als einen medialen Akt für das Erscheinen des Absoluten begreift: In ihm öffnet sich gleichsam ein „Fenster ins Absolute“, das im Ausgang von der „mundanen Äußerungssituation“ in diese zurückstrahlt (und auf sie bezogen bleibt), also unauflösbar zwischen intramundaner Befreiung und Übersteigung der Endlichkeit oszilliert. Inwiefern die weltliche Situation der Reduktion eine wesenhaft unfreie ist, und in welchem Sinne die Reduktion genauer als Befreiung verstanden werden kann, untersucht das fünfte und letzte Kapitel (Weltbefangenheit und Befreiung). Ort der Manifestation des Absoluten, das über diese Manifestation hinaus wie gesagt nicht ist – „Nichts ,ist‘, me on“ –, ist wie gesagt die Welt. Insofern der Mensch als ein ens cosmologicum – ein Weltwesen –, wie der späte Fink sagen wird, existiert, verlangt die strukturelle Analyse den Aufweis einerseits des Weltapriori in der naiv-mundanen Existenz (dies wäre der Aufbruch der Freiheit) wie sie andererseits den radikalisierten Vollzug der Weltbewohnerschaft im Durchgang durch das ,Nichts‘ der Welt darlegt. Dies macht erforderlich, den Weg der Weltkonstitution und unseres Aufenthaltes in ihr als ,Mensch in der Welt‘ gleichsam mit Gewalt gegen das ,natürliche Leben‘ rückwärts zu gehen: Um die „Vermenschung“ des Absoluten zu verstehen, also eine „Ent-menschung“ zu vollziehen, eine periagogés tes psyches. Die Transzendenzbewegung, die im Vollzug der Reduktion erfolgt, habe dabei den Sinn einer „nicht ontischen Vernichtung der ,Maske der existenten Subjektivität‘, die nun durchsichtig geworden ist“.

Mit dem Terminus des „Instandes“ bzw. der „Instände“ (Geschichte, Geburt, Tod, Sein-bei, Schicksal) erarbeite sich Fink ein methodisches Handwerkszeug, um die „Selbstobjektivation des absoluten Lebens“, seine Mundanisierung oder „Ontifikation“ zu fassen. Die „Inständigkeit“ markiert den Ursprung des Dasein, sein Woher (hier arbeitet Giubilato wichtige Aspekte von Finks Auseinandersetzung mit der Fundamentalontologie Heideggers heraus). Ihr letztes Stadium erreicht der reduktive Rückstieg als „Entmenschung“ jedoch in der Befreiung auch von diesen Inständen, in denen sich das Absolute aus seiner radikalen Transzendenz in eine mundane „Stellung im Kosmos“ verendlicht. In der hier stattfindenden me-ontologischen Erkenntnis des Ontologischen (des Seins) können die Strukturen des „Weltsturzes“ (der Endlichkeit) auf eine „konstruktive“ (nicht analytische) Weise – Fink spricht auch von Spekulation – thematisch werden. Die phänomenologische Reduktion wird so zur „me-ontischen Ab-solution“, zur radikalen Loslösung aus der Welt-Befangenheit und Rückführung ins Ursprüngliche, die Welt-Unbefangenheit – nicht im Sinne eines methodischen Kunstgriffes, sondern als „Schmerz des Erwachens“, den sich „der absolute Geist selbst antut“ (Fink-Zitat). Erst als Absolution führt die Reduktion zur Freiheit im Sinne einer ekbasis, eines „Entkommens“.

Der ekbasis als „Ausgang“ aus der erscheinenden Welt korrespondiert umgekehrt die katabasis des Absoluten, seine Selbstentäußerungund emanative Verendlichung in die Welt. Die Idee einer me-ontischen Phänomenologie des Absoluten als Freiheitslehre vervollständigt sich, so Giubilato, „im Gegenspiel zwischen reduktiver ekbasis und konstitutiver katabasis“, zwischen Aufstieg in die Befreiung und Abstieg in die Entäußerung.

Die Entscheidung des Autors, Finks Idee einer me-ontischen Philosophie und Phänomenologie des Absoluten als Lehre von der Freiheit darzustellen, erweist sich als wohldurchdachter Glücktreffer. Mit seiner luziden Genauigkeit, Prägnanz und detaillierten Aufmerksamkeit gelingt es Giubilato nicht nur auf eine ebenso substanziell-gediegene wie faszinierende Weise, Finks ganz eigenen, im kritischen Dialog mit Husserl und Heidegger gebahnten Denkweg aus dem Dickicht tastender Versuche herauszuschälen und zu konturieren. Auch für das Spätwerk – Finks kosmologisches Denken – werden entscheidende Weichen gestellt, allem voran die Einsicht, dass wir „Weltwesen“ sind und bleiben, „Welt“ jedoch selbst durch ein Entzugsmoment charakterisiert ist, welches auf eine näher zu entfaltende Weise auf uns selbst als ,Fragmente‘ ihrer zwiefältigen Differenz zurückweist. Die Fülle miteinander verschränkter Analysen, die Originalität des Zugriffes, die sorgfältige Arbeit am Begriff sowie der Elan und die philosophische Tiefe der Durchführung weisen Giubilatos Untersuchung als einen Meilenstein der Auseinandersetzung mit einem Autor aus, der gerade dabei ist, mithilfe internationaler Unterstützung aus seiner Versenkung in der deutschen Forschungslandschaft herauszutreten.

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