Andrew J. Mitchell: Heidegger unter Bildhauern. Körper, Raum und die Kunst des Wohnens

Heidegger unter Bildhauern. Körper, Raum und die Kunst des Wohnens Book Cover Heidegger unter Bildhauern. Körper, Raum und die Kunst des Wohnens
Heidegger Forum 15
Andrew J. Mitchell. Aus dem Englischen von Peter Trawny
Klostermann
2018
Paperback 24,80 €
150

Reviewed by: Giovanna Caruso (University of Koblenz-Landau)

Die Rolle des Raumes, der bislang in Heideggers Denken neben jener der Zeit bzw. der Zeitlichkeit kaum wahrgenommen wurde, ist in den letzten Jahren immer häufiger in den Fokus der Forschung gerückt worden. Es wird dabei betont, dass vor allem die kleinen Schriften über die Kunst, die im Laufe der 1960er Jahre anlässlich von Heideggers Begegnung mit einigen zeitgenössischen Künstlern entstanden sind, von einem starken Interesse Heideggers am Phänomen des Raumes zeugen. Denn diesen Texten lässt sich eine Raumauffassung entnehmen, die im Vergleich zur Räumlichkeit des Daseins in Sein und Zeit oder auch zur Konzeption des Raumes als Wohnen in den 1940er und 1950er Jahren neue Verhältnisse zwischen Raum und Zeit, Raum und Dasein, Raum und Körper und nicht zuletzt zwischen Raum und Welt entstehen lässt. In diesem Forschungskontext, der der Spur des späten Heidegger auf der Suche nach seiner revidierten Raumauffassung folgt, verortet sich auch Andrew J. Mitchells Heidegger unter Bildhauern. Körper, Raum und die Kunst des Wohnens. Wie der Titel bereits verrät, stellt Mitchell Heideggers Konzeption des Raumes in seinem Verhältnis zum Körper und zur Kunst – insbesondere zur plastischen Kunst – dar. Zu diesem Zweck untersucht und interpretiert er in Anlehnung an Heideggers Denken die Werke der Bildhauer Ernst Barlach, Bernhard Heiliger und Eduardo Chillida, denen er jeweils ein Kapitel widmet.

Der erste Satz des Buches fasst implizit seinen Ausgangspunkt und sein Ziel zusammen: „Die Bildhauerei lehrt uns, was es heißt, in der Welt zu sein.“ (9) Eine fragwürdige, sehr allgemeine und sogar tendenziöse Annahme – könnte man denken. Auch die Erklärung, die der Autor kurz darauf vorschlägt – „In dieser Welt zu sein heißt stets, einen materiellen Raum von Strahlung zu betreten.“ (9) –, bleibt erklärungsbedürftig. Wenn man aber die Ungenauigkeit dieser Annahme vorläufig akzeptiert und sich von ihr durch den Text leiten lässt, wird im Laufe der Lektüre verständlich, dass dieser vermeintlich unverständliche Ansatz das Programm des gesamten Werkes Mitchells zum Ausdruck bringt. Denn dem Schlüsselbegriff ‚Grenze‘ folgend, will der Autor in seinem Buch zeigen, dass Heidegger durch eine Auseinandersetzung mit der Bildhauerei eine Raumkonzeption entwickelt, auf Basis derer der Unterschied zwischen Raum und Kunst aufgehoben wird. Mitchell zeigt darüber hinaus, dass, indem Raum zur Kunst und Kunst zum Raum wird, Heidegger ein neues Verständnis des Verhältnisses des Daseins zu seinem Wohnend-Sein bzw. zu seinem In-der-Welt-Sein entwirft.

Um die Entwicklung und zugleich die Ergebnisse der Heideggerschen Auseinandersetzung mit dem Raum-Begriff von den 1920er bis zu den 1960er Jahren darstellen zu können, gliedert Mitchell sein Werk in fünf chronologisch aufeinanderfolgende Teile. Auf eine lange Einleitung, die von Sein und Zeit (1927) über die Kunstwerksabhandlung (1935) bis zu den späten 1960er Jahren durch die bedeutendsten Etappen das Verhältnis von Dasein, Kunst und Raum im Denken Heideggers rekonstruiert, folgen drei aufeinander aufbauende Kapiteln, die die Zusammenhänge zwischen dem Denken Heideggers und der Kunst Ernst Barlachs (1.Kapitel), Bernhard Heiligers (2. Kapitel) und Eduardo Chillidas (4. Kapitel) untersuchen. Das dritte Kapitel hingegen ist einen Exkurs über Heideggers Vortrag Die Herkunft der Kunst und die Bestimmung des Denkens. Eine Darstellung dieser Abschnitte wird im Folgenden jene Aspekte fokussieren, die Mitchel zufolge für die Entwicklung des Denkens Heideggers in Bezug auf das Verhältnis von Raum, Kunst und Mensch eine besonders wichtige Rolle spielen.

Statt den Leser in das Thema des Buches einzuführen oder einen systematischen bzw. historischen Hintergrund zur Orientierung zu umreißen, versetzt die Einleitung ihn sofort ins Zentrum der Betrachtung. Durch eine Sprache, die deutlich eine starke Beeinflussung durch Heideggers Stil erkennen lässt, gewinnt der Leser einen unmittelbaren Zugang zur Thematik des Werkes: das neue Verhältnis von Körper und Raum, das sich deutlich in den Vorträgen und kleineren Schriften Heideggers der 1960er Jahre zeigt. Schon die ersten Seiten des Werkes entwerfen eine innovative Interpretation der Entwicklung der Raumauffassung im Denken Heideggers. Denn Mitchell stellt keinen Bruch zwischen der Raumauffassung von Sein und Zeit und jener der späten 1960er Jahre fest. Er vertritt vielmehr eine Kontinuitätsthese: Die in den 1960er Jahren von Heidegger entwickelte Auffassung des Raumes und seines Verhältnisses zum Körper „schreitet“ laut Mitchell „auf einem Denkweg durch Sein und Zeit zur Abhandlung über ‚den Ursprung des Kunstwerks‘“. (10) Damit bestreitet Mitchell jedoch nicht, dass sich die Raumkonzeption Heideggers im Laufe seines Denkens deutlich verändert hat. Er plädiert aber für die These, dass Heideggers Werke der 1920er und 1930er Jahre den Kern seiner späteren Raumauffassung bereits in sich tragen. Eben diese kontinuierliche Entwicklung des Heideggerschen Raumverständnisses wird von Mitchell in der Einleitung auf kurze und prägnante Weise dargestellt. Er zeigt zuerst, dass die Auffassung des Raumes in Sein und Zeit Grenzen aufweist, die seiner Analyse zufolge dadurch entstehen, dass Heidegger die Räumlichkeit des Daseins „vom daseinsmäßigen Nutzen des Zeugs (des ‚Zuhandenen‘) her“ (13) denkt. (Vgl. 11–17) Aufgrund dessen bleibe der Raum in Sein und Zeit ausschließlich ein funktionaler Raum, dessen Existenz vom handelnden Menschen abhängig ist. (Vgl. 17) In einem zweiten Schritt zeigt Mitchell, wie Heidegger die Auffassung eines funktionalen Raumes überwindet und im Kunstwerksaufsatz eine Konzeption entwickelt, die auf einem vom Dasein unabhängigen Raum basiert. (Vgl. 17-24) Diese neue Idee eines autonomen, „anti-utilitaristischen“ (21) Raumes wird Mitchell zufolge im Kunstwerksaufsatz im Schlüsselbegriff ‚Erde‘ expliziert: „Erde nennt eine exzessive und abgründige Phänomenalität, eine Erscheinung, die auf keiner unterliegenden Substanz beruht.“ (19) Auf dieser veränderten Auffassung des Raumes, die nun von Heidegger als Erscheinung bzw. als Lichtung der Wahrheit (vgl. 21) verstanden wird, basieren Mitchell zufolge die Veränderungen in Bezug auf das Verhältnis von Körper und Raum, die sich in Heideggers Denken in den 1960er Jahren anlässlich seiner Auseinandersetzung mit den Plastiken verschiedener Künstler äußern.

Vor dem Hintergrund der dargestellten Entwicklung untersucht Mitchell im ersten Kapitel seines Buches (vgl. 31-48) den Zusammenhang zwischen dem Spätdenken Heideggers und der Kunst Ernst Barlachs. Der Begriff der Seinsverlassenheit bildet dem Autor zufolge das Bindeglied zwischen Heideggers Denken und Barlachs Kunstwerken. In diesem Zusammenhang deutet Mitchell Verlassenheit als „Weg, Sein als weder völlig präsent (es hat Seiendes verlassen) noch als völlig absent zu verstehen“ (33) und somit das Seiende als „etwas Offenes, das in die Welt ausgeschüttet ist“, (34) zu erfahren. Die stark metaphorischen, fast poetischen Züge der Sprache Mitchells beeinträchtigen bisweilen ein systematisches, eindeutiges Verständnis des Textes. Dennoch lässt sich Mitchells Interpretation der Werke Barlachs in Bezug auf Heideggers Denken erkennen: Indem die formlosen Körper-Skulpturen Barlachs ein Seiendes ohne bestimmte Grenze bzw. ein offenes, nicht abgeschlossenes Objekt verkörpern, stellen sie laut Mitchell die Spannung zwischen Präsenz und Absenz dar, die der Seinsverlassenheit eigen ist, und werden somit als Ausdruck der „Unbestimmtheit des irdischen Lebens“ (43) gedeutet. Außerdem betont Mitchell, dass eine implizite Kritik an der Welt der Technik und am Formideal des Nationalsozialismus als deren Konsequenz vorgenommen wird: „Barlachs Skulpturen sind mehr geformt als jeder Nazi-Körper es sein könnte, gerade durch ihre Weigerung, Form zu verdinglichen oder zu kristallisieren und sie von ihren sie ermöglichenden Bedingungen abzuziehen.“ (47)

Dieses Verhältnis von Raum und Körper, das die formlosen, offenen Skulpturen Barlachs bereits implizit thematisieren, wird zum Hauptthema in Heideggers Rede Bemerkungen zu Kunst-Plastik-Raum, die er 1964 anlässlich seiner Auseinandersetzung mit den Kunstwerken Bernhard Heiligers gehalten hat. Auf Basis dieses Textes zeigt Mitchell im zweiten Kapitel seines Buches (vgl. 49–72), dass Heidegger das Verhältnis von Kunst und Raum eindringlich untersucht, dass er grundlegende Fragen über die Möglichkeit einer Auseinandersetzung mit dem Raum für den Künstler aufwirft und dass dabei auch das Verhältnis von Körper und Raum zunehmend an Bedeutung gewinnt. Bei dem Versuch, dieses Geflecht von Verhältnissen, Bezügen, Verweisen und Zusammenhängen zwischen Kunst, Raum und Körper zu entwirren, entwirft Heidegger laut Mitchell eine neue Auffassung des Raumes, die dazu zwingt, auch seinen Bezug zur Kunst und zum Dasein neu zu denken. Gegen die klassische Raumauffassung, die die Definition des Raumes mit den Körpern verbindet, zeigt Mitchell, dass Heidegger den Raum vom Raum und nicht vom Körper her denkt. Auf dieser Weise definiert Heidegger den Raum als Räumen. Dies ermöglicht, „Raum nicht länger abstrakt und homogen, sondern selbst schon sich versammelnd und furchend und ausstreckend und zurückschnappend in Gebiete, Fernen, Richtungen und Schranken“ (58) zu denken. Diese neue Raumauffassung fordert, dass auch das Verhältnis von Dasein und räumendem Raum vom Raum her gedacht wird – und nicht mehr wie in Sein und Zeit vom Dasein her. Aus dieser Perspektive neu gedacht, lässt sich Mitchell zufolge das Verhältnis von Dasein und Raum als ein sich gegenseitiges Durchdringen und Prägen verdeutlichen. (Vgl. 60) Entsprechend heißt In-der-Welt-Sein, dass das Dasein durch die Welt geprägt ist und dass sich die Welt konsequenterweise, wenn auch verdeckt, in jedem Dasein zeigt. Eben dieses unsichtbare Verhältnis des Menschen zur Welt und zugleich die unsichtbare Präsenz der Welt in jedem Menschen werden laut Mitchell von Heidegger in Heiligers Kopf-Werken zum Ausdruck gebracht: „Wenn der Künstler einen Kopf modelliert, so scheint er nur die sichtbaren Oberflächen nachzubilden; in Wahrheit bildet er das eigentlich Unsichtbare, nämlich die Weise, wie dieser Kopf in die Welt blickt, wie er im Offenen des Raumes sich aufhält, darin von Menschen und Dingen angegangen wird.“ (61) In diesem Verhältnis von Welt und Mensch kommt den Begriffen des Zwischen, der Bewegung und der Relationalität in der Argumentation Mitchells besondere Relevanz zu. (Vgl. 63–67) In Anlehnung an den kurzen Dankesbrief, den Heidegger nach einem Besuch des Heiligers Ateliers schrieb, (vgl. 63) und auf Basis einiger Bemerkungen Heiligers, der selbst seine Skulpturen als Kunstwerke in Bewegung bzw. als etwas Offenes, in dem Offenheit waltet und Welt erscheint (vgl. 63), beschreibt, deutet Mitchell die Welt als Zusammengehörigkeit von Menschen und Dingen bzw. als ein geheimnisvolles Dazwischen. (Vgl. 65–66) Dadurch will Mitchell an den Werken Heiligers zeigen, welche Deutung von Welt und Mensch sich aus der Heideggerschen Auffassung des Raumes als Räumen ergibt. Der Versuch Mitchells, diese Idee der Welt als Zwischen und ihre Bedeutung für den Menschen zu verdeutlichen, wird jedoch durch seine literarische Sprache, die das Verständnis erschwert, ausgedrückt: Mitchell schreitet an dieser Stelle seiner Betrachtung durch intuitive Verbindungen zwischen den Sätzen, er bedient sich metaphorischer Bilder, die schnell aufeinanderfolgen und die intuitiv aufeinander verweisen. Der Diskurs scheint existenziell poetische Gedanke hervorrufen und das Terrain des philosophischen Argumentierens bzw. der Kunstkritik verlassen zu wollen. Diese existenzielle Richtung verstärkt sich im nachfolgenden Paragraph ‚Artikulation 2: Verfall und Erosion‘. (Vgl. 67–72) Mitchell betont, dass die Kunstwerke Heiligers, die die Relationalität zwischen Mensch und Welt ausdrücken, „die Tatsache [attestieren], dass Bewegung ein Abnutzen ist“. (67) In diesem Sinne expliziert der Autor weiter, dass „ein Werden hin zu etwas […] ein Werden weg von etwas“ (67) ist. Eben dieses Thema der ‚Distanzierung von etwas‘ wird von Mitchell in seiner Deutung der Werke Heiligers betont, weil er darin den Ausdruck einer grundlegenden Weise des In-der-Welt-Seins sieht. Ausgehend von dieser Deutung der Werke Heiligers bringt Mitchell einen anderen Wesenszug des Verhältnisses von Mensch und Welt zum Ausdruck. Denn die Welt wird nun nicht als etwas verstanden, das den Menschen prägt, sondern als etwas, das uns verbraucht bzw. „erodiert“: (68) Insofern Mensch und Welt sich gegenseitig durchdringen und prägen und sich daher in einer ständigen Bewegung bzw. einem ständigem Werden befinden, das nicht nur ein Werden zu etwas, sondern auch ein ‚Weg von etwas‘ ist, verbraucht die Welt den Menschen. Mit den folgenden Worten drückt Mitchell diesen Gedanken in all seiner Radikalität aus: „Wir sind durch Welt verwittert, erodiert im Zwischen. Unsere Absprache besteht darin, gemeinsam zu erodieren.“ (68) Indem die Skulptur den Menschen in diesem Zwischen hält – so Mitchell weiter – und Verbindung zwischen Mensch und Welt stiftet und daher Mensch und Welt verändert, erweist sich die Skulptur für diesen Erosionsprozess des Menschen als mitverantwortlich. (Vgl. 71)

Bevor Mitchell auf das Verhältnis des Heideggerschen Denken und der Kunst Eduardo Chillidas eingeht – ein Verhältnis, das dem Autor zufolge eine weitere Entwicklung des Verhältnisses von Raum, Körper und Kunst im Denken Heideggers darstellt –, setzt sich Mitchell in einem kurzen Exkurs mit Heideggers Die Herkunft der Kunst und die Bestimmung des Denkens auseinander. (Vgl. 73–81) Mit der Interpretation Mitchells, die ausgehend vom Blick Athenas auf die Steingrenzen (vgl. 77) darauf zielt, die Zusammengehörigkeit von τέχνη und ϕύσις im Denken Heideggers zu begründen, ist die Heidegger-Forschung längst vertraut. „Der Ruf der ϕύσις ist“, schreibt Mitchell, „für die menschlichen Werke also eine Einladung die Welt zu prägen, doch zugleich auch sich selbst von der Welt prägen zu lassen.“ (80) Besonders interessant und originell ist dagegen der Gedanke, dass das Bas-Relief in einer ausgezeichneten Weise diese Zusammengehörigkeit von ϕύσις und τέχνη bzw. von Natürlichem und Künstlichem zum Ausdruck bringt. (Vgl. 80) Diesbezüglich weist Mitchell darauf hin, dass es vielleicht kein Zufall ist, dass die drei Bildhauer, mit denen Heidegger sich auseinandergesetzt hat, im Relief arbeiten. (Vgl. 80)

Im vierten Kapitel seines Werkes stellt Mitchell den letzten Schritt und daher das endgültige Ergebnis der Auseinandersetzung Heideggers mit dem Raum und dem Körper dar, das Heidegger laut Mitchell 1968 anlässlich der Begegnung mit den Kunstwerken Chillidas entwickelt hat. (Vgl. 83–109) Der grundlegende Gedanke dieses Schritts und der Wandel im Verhältnis zur vorherigen Raumkonzeption Heideggers besteht Mitchell zufolge darin, dass, indem Heidegger eine physikalische bzw. metaphysische Auffassung von Raum explizit ablehnt, jeder Unterschied zwischen Kunst und Raum aufgehoben wird. Wenn daher die Werke Barlachs und Heiligers noch von einer Trennung von Raum und Kunst zeugen, die auf unterschiedliche Art und Weise überbrückt wird, konstatiert Heidegger anlässlich der Begegnung mit den Werken Chillidas, dass eine solche Trennung und konsequenterweise eine Überbrückung der Lücke zwischen Kunst und Raum überhaupt nicht denkbar ist. (Vgl. 84–86) Denn Kunst ist keine „Besitzergreifung des Raumes“ (84), sondern sie ist schon immer ein räumender Raum, ein Ort gewordenen Räumens. Diese radikal neue Konzeption des Raumes und seines Verhältnisses zur Kunst bewirkt – so Mitchell – Veränderungen in der Auffassung des Verhältnisses von Raum, Werkzeug und Kunstwerk, von Raum und Menschen, von Raum und Sprache und von Raum und Körper. In Bezug auf das Werkzeug behauptet Mitchell, dass die Funktion des Werkzeugs als Medium zwischen Künstler und Materie in Frage gestellt wird. (Vgl. 91) Denn es gibt keine Leere mehr zwischen den beiden, die durch Werkzeuge gefüllt bzw. überbrückt werden muss. Mitchell verdeutlicht des Weiteren, inwiefern sich auch der Bezug des Daseins zum Raum ändert: Das Dasein verliert sein Privileg als Handelnder, der Räume bildet, stiftet, eröffnet oder ermöglicht. Vielmehr wird das Dasein vom Räumen des Raumes gedacht und ist daher schon dem All des Seienden zugehörig. (Vgl. 100-104) Inwiefern sich auch das Wesen der Sprache in Bezug auf diese neue Raumkonzeption verändert, wird von Mitchell nicht ausführlich erklärt. Er stellt in Heideggers Versuch, den Raum etymologisch zu erhellen, lediglich eine „Betonung der Sprache“ (105) fest. Diesbezüglich sagt er sogar: „‚Kunst und Raum‘ bringt uns dazu, eine Zwiefalt zu denken: dass Raum sprachlich und Sprache räumlich sei.“ (105) Leider erklärt Mitchell nicht, wie genau diese von ihm behauptete Zusammengehörigkeit oder sogar Identität von Raum und Sprache zu verstehen ist. Erklärungsbedürftig bleibt bedauerlicherweise auch die Verbindung, die Mitchell in den letzten Sätzen dieses Abschnittes zwischen Körper, Raum und Wahrheit herstellt. (Vgl. 108–109) Außerdem ist auf eine Irritation zu verweisen, mit der sich der Leser bei der Lektüre dieses Kapitels konfrontiert sieht. Im dritten Teil dieses Kapitels mit der Überschrift ‚Setzen Bringen Zusammenarbeiten‘ (94–99) setzt sich Mitchell mit dem Unterschied zwischen dem ‚sich-ins-Werk-Setzen‘ und dem ‚ins-Werk-Bringen‘ der Wahrheit in der Kunst auseinander. Der Autor macht darauf aufmerksam, dass – wie Heidegger selbst im ‚Zusatz‘ zu Der Ursprung des Kunstwerks bemerkt – in der Entwicklung des Heideggerschen Denkens ein Wandel vom Setzen zum Bringen stattfindet. (Vgl. 94) Dieser Wandel wird jedoch von Mitchell darin identifiziert, dass ‚Setzen‘ ein Moment von Gewalt mit sich bringe, während ‚Bringen‘ etwas Weicheres darstellt, indem es eine Begleitung und nicht eine Gewalt betone. (Vgl. 97) Aus diesem Grund erklärt der Autor: „Die Wahrheit des Werkes erscheint daher in ‚Kunst und Raum‘ weniger insistent als in ‚Der Ursprung des Kunstwerkes‘.“ (97) Dabei übersieht Mitchell aber den bedeutendsten Unterschied zwischen den beiden Ausdrücken, der darin besteht, dass der erste (sich-ins-Werk-Setzen) reflexiv ist und der zweite (ins-Werk-Bringen) eben nicht. Und dies bewirkt eine grundlegende Veränderung des Verhältnisses von Wahrheit und Kunst und konsequenterweise auch eine Veränderung der Rolle des Künstlers. Denn während die Wahrheit im Kunstwerksaufsatz als die ‚sich-Setzende‘ aktiv im Kunstwerk erscheint bzw. geschieht, gewinnt der Künstler in den späteren Auffassung Heideggers eine viel stärkere Rolle, indem er die Wahrheit ins Werk bringt.

Das abschließende Kapitel fasst die Ergebnisse der vorhergehenden Kapitel zusammen und zeichnet dadurch den Weg, auf welchem Heidegger ausgehend von der Begegnung mit den formlosen Körpern Barlachs über jene mit den Köpfen Heiligers bis zu der Auseinandersetzung mit den Vögeln Chillidas seine Raumauffassung in den 1960er Jahren entworfen hat. Vor dem Hintergrund dieser neuen Raumkonzeption versucht Mitchell auf den letzten zwei Seiten, den Menschen in den Mittelpunkt der Betrachtung zu stellen und sein Verhältnis zu sich selbst, zu den anderen, zu seinem In-der-Welt-Sein und zur Wahrheit neu zu konturieren. Leider zeichnet sich auch dieser Abschnitt durch eine sehr kryptische Sprachverwendung aus. Aufgrund dessen bleibt es schwer nachvollziehbar, inwiefern Mitchell das aus der neuen Raumsauffassung entstandene Verhältnis von Mensch, Plastik und Raum als eine Aufforderung für den Menschen, sein Leben zu ändern, versteht. (Vgl. 114)

Abgesehen von diesen Unklarheiten der Darstellung trägt das Buch zweifellos zur Klärung der in der Heidegger-Forschung tendenziell vernachlässigten Thematik des Raumes bei und ergänzt diese um interessante Überlegungen und Denkanstößen. Denn Mitchell unternimmt in seinem Buch den gewagten Versuch, auf Basis sehr kurzer und zuweilen unsystematischer Texte des späten Heidegger eine systematische Raumkonzeption darzustellen. Es gelingt Mitchell jedoch nicht immer, die Schwierigkeiten zu umgehen, die ein solches Vorhaben unvermeidlich mit sich bringt. An einigen Stellen erweckt der Text den Eindruck, als ob der Autor, indem er in Anlehnung an die Texte Heideggers und mithilfe seiner Begrifflichkeit die Werke der drei Bildhauer deutet, ihnen Inhalte, Bedeutungen oder Verweise zuspricht, die diesen Kunstwerken andernfalls nicht zukommen. Eine andere Schwierigkeit, auf die bereits hingewiesen wurde, ist die Sprachverwendung. Oft wird eine sehr poetische Sprache verwendet: Einige Zusammenhänge und Verweise werden intuitiv aufgebaut und daher bleiben einige Gedanke erklärungsbedürftig. Auf Grund dessen entsteht der Eindruck, als habe sich der Autor nicht immer bemüht, seine Überlegungen zu erklären, und es stattdessen vorgezogen, á la Heidegger mit der Etymologie der Worte zu spielen und seinen Diskurs durch intuitive Verbindungen aufzubauen. Dies macht einige Textpassagen auch für den Heidegger-Kenner sehr schwer verständlich. Ob und inwiefern die Übersetzung Trawnys zu diesen Schwierigkeiten beiträgt, bleibt unklar. Außerdem lassen sich einige Ungenauigkeiten in der Auslegung der Texte Heideggers feststellen.

Trotz dieser kritischen Anmerkungen ist der Versuch Mitchells lesenswert. Denn der Leser erhält durch das Werk nicht nur einen Überblick über die kontinuierliche Entwicklung des Denken Heideggers über den Raum von Sein und Zeit bis zu den späten 1960er Jahren, sondern dem Leser werden darüber hinaus zahlreiche interessante Deutungsperspektiven des Heideggerschen Denkens angeboten, die sich als originell erweisen und über die Betrachtung Mitchells hinaus für eine Auseinandersetzung mit den Themen Raum, Dasein, Welt und selbstverständlich auch Kunst im Rahmen des Spätdenkens Heideggers fruchtbar gemacht werden können.

Christos Hadjioannou (Ed.): Heidegger on Affect, Palgrave Macmillan, 2019

Heidegger on Affect Book Cover Heidegger on Affect
Philosophers in Depth
Christos Hadjioannou (Ed.)
Palgrave Macmillan
2019
Hardback $119.99
XXV, 289

Jean Wahl: Philosophies of Existence, Routledge, 2019

Philosophies of Existence: An Introduction to the Basic Thought of Kierkegaard, Heidegger, Jaspers, Marcel, Sartre Book Cover Philosophies of Existence: An Introduction to the Basic Thought of Kierkegaard, Heidegger, Jaspers, Marcel, Sartre
Routledge Library Editions: Existentialism
Jean Wahl
Routledge
2019
Hardback £80.00
132

Shigeru Taguchi, Andrea Altobrando (Eds.): Phenomenology and Japanese Philosophy, Springer, 2019

Phenomenology and Japanese Philosophy Book Cover Phenomenology and Japanese Philosophy
Tetsugaku Companions to Japanese Philosophy, Volume 3
Shigeru Taguchi, Andrea Altobrando (Eds.)
Springer
2019
Hardback 103,99 €

Ian Alexander Moore: Eckhart, Heidegger, and the Imperative of Releasement, SUNY Press, 2019

Eckhart, Heidegger, and the Imperative of Releasement Book Cover Eckhart, Heidegger, and the Imperative of Releasement
SUNY series in Contemporary Continental Philosophy
Ian Alexander Moore
SUNY Press
2019
Hardback $95.00
352

Marius Johan Geertsema: Heidegger’s Poetic Projection of Being

Heidegger's Poetic Projection of Being Book Cover Heidegger's Poetic Projection of Being
Marius Geertsema
Palgrave Macmillan
2018
Hardback 93,59 €
VIII, 288

Reviewed by: BB Bieganski (University of South Florida)

In his 2018 book, Heidegger’s Poetic Projection of Being (henceforth HPPB) Marius Johan Geertsema demonstrates that in Heidegger’s oeuvre, Being is essentially dialogical with the poetic. The poetic is not to be understood as strictly tethered to poems, but as a type of thinking which contrasts the worrisome technocratic with thinking combatted by Adorno, Foucault, Ortega y Gasset, and Heidegger himself. The poetic refers to the intimation of the future that shapes human thought and behavior in light of our finitude. Geertsema’s reading of Heidegger describes Being as a relation to a sort of hermeneutical receptivity that is found in poetic thinking—that is, an attunement towards nature, ourselves, and each other.

HPPB divides into three sections: an overview and explication of Heidegger’s philosophy, followed by Geertsema’s argument for Heidegger’s onto-poetology, and last a conclusion and implication section.

The first section of HPPB is dedicated to a discussion of Heidegger’s corpus which includes all the juicy aspects for any serious Heidegger scholar. This includes an elucidation of both the early Heidegger (including work prior to the publication of Being and Time) and the late Heidegger, along with a discussion of the Kehre—Heidegger’s turn from Dasein toward Being. Geertsema recontextualizes each phase of Heidegger’s work in light of the others, and even though he subtly offers his interpretation of the rupture between the early and late Heidegger, the first section of HPPB is primarily focused on outlining the different philosophies of early, middle, and late Heidegger.

The next 150 pages or so of HPPB are Geertsema’s own analysis of how Heidegger treats poetry, and its important role in Heidegger’s philosophy. In this section, Geertsema discusses the relationship between Being (that is, the world of experience) and poetry, and how Heidegger illuminates the role of language in our understanding of the world. Geertsema does an excellent job of citing textual evidence for Heidegger’s analysis of the intricate relationship of language and thought. It’s not surprising then, that Geertsema thinks that Being and poetics are intimately linked and that the way we interpret the world will be enmeshed in the way we discourse.

Geertsema takes great care in combing through Heidegger’s work: even in the areas that seemingly contradict the relationship between language and thought, Geertsema finds textual evidence that the discrepancy between thought and language isn’t so wide. For example, in the postscript to What is Metaphysics? Heidegger mentions that the poet and the thinker live on separate peaks of two mountaintops, which seems as though he views philosophical and scientific thinking as inconsistent with poetry and art. But Geertsema points out that in Anaximander’s Saying, Heidegger asserts that thinking grounds poetry and poetry grounds thinking, suggesting that Heidegger doesn’t think them as strictly incommensurable. And even though it seems as though Heidegger is inconsistent on the topic, Geertsema finds a way to bridge these ideas into a consistent overarching narrative in Heidegger’s thought.

Another impressive aspect to note in this section is that Geertsema tackles the dreaded Fourfold that flummoxes even the most well-read Heideggerian scholars, arguing that the Fourfold is a projection of a realm of thought that only poets can think. The Fourfold, which has two poles—the earth-sky pole and the mortal-divinity pole—can only be comprehended by poets, or “demigods”: those who exist “between” humans and gods and are receptive to the world around them as they project a type of thinking that anticipates and prepares for the future. Because poets are receptive to the world while understanding the boundaries that shape their understanding, poetry, or poetical thinking is able to get out of calculative, instrumental thinking. Metaphysicians, on the other hand, are concerned solely with how to explain reality, which opens up the question of technocratic domination. Poetry is dwelling, says Geertsema’s Heidegger: a sort of becoming comfortable with one’s own situation and context, where humans must realize their place according to their own boundaries. Thus, as poetry constitutes dwelling, it is the poet rather than the metaphysicians who understands the Fourfold as mode of thinking which grants us a way of navigating and understanding the world.

The final section, which concludes and examines the implications of the thesis laid out by Geertsema, unfortunately lasts only 4 pages. Here Geertsema introduces his own thoughts on the matter, which is the most interesting part of the book. Geertsema points out several worries for Heidegger, if Being is tied to the poetic (for example, Geertsema questions why should poetry be privileged—can’t architecture or a ballet also unite a people the same way poetry does?). Moreover, here Geertsema also considers certain secondary figures who have problematized Heidegger’s affinity for poetry, whereas in the bulk of the text such secondary exegesis is absent. Perhaps in a future book Geertsema will unearth these implications more in detail, as his worries seem to be problematic for Heidegger, if not outright lethal.

 The greatest virtue of HPPB is that Geertsema has clearly done his homework. Every exegetical claim made in the book is backed up by a quote or citation from Heidegger. Moreover, Geertsema doesn’t examine only the early or the late Heidegger, but the whole of Heidegger’s work, including lectures and biographical anecdotes. Scholars who focus on one period of Heidegger’s thought might come away from Geertsema having a better grip of Heidegger’s entire project because of how well Geertsema integrates every Heidegger—early, middle, and late—into one cohesive text.

However, there are limits to HPPB. Anyone who has little to no experience with Heidegger will effectively drown in the Heideggerese that Geertsema presents. Take for example: “To put it simply, Being can, according to Heidegger, only be what it is, in as far as it is appropriate at all to assert that Being ‘is’, when Being grants the human being the experience of Being, not only as the presencing of Being, but also as concealment; that is, the oblivion of Being as oblivion yielding from Being” (p. 52). Anyone without a sufficient background in phenomenology or Heidegger would find this passage to be mere nonsense, or some kind of unfunny joke. On the opposite end, those who are well-researched Heideggerian specialists might find swaths of HPPB uninteresting, uninformative, or uninspired. Experts studying a particular epoch of Heidegger might pass over sections of HPPB in order to reach their own area of interest. Since Geertsema offers expositions of Heidegger’s philosophy rather than a radical or novel reinterpretation of it, there is a risk of such inquisitive experts coming away only to be empty-handed. The primary audience that might get the most out of HPPB would be those who have read Heidegger but don’t understand him well enough yet. In other words, to use Geertsema’s nomenclature, HPPB is a book for demi-Heideggarians.

Another odd aspect of HPPB is that some of Geertsema’s claims are either wrong or open to easy misinterpretation. For instance, Geertsema claims that “Heidegger never took an interest in poetry and literature incidentally” (p. 9), which is either wrong (Heidegger wrote several poems, most of which are clumsily bad), or oddly-worded (Geertsema actually quotes some of Heidegger’s poetry, calling it “ugly,” p. 110). Or, for another oddity: “We will therefore examine = now [sic] the truth of the Being in relation to the phenomenon” (p. 103). Is the equal symbol supposed to represent that the concept of the ‘now’ to be examined? Or is it a weird typo that was maybe overlooked in the proofreading process (there are a few throughout the book, such as ‘Being a Time’ instead of ‘Being and Time’, p. 50). Or, in one of the rare instances in which Geertsema invokes secondary literature on Heidegger, he cites Thomas Sheehan’s work, Making Sense of Heidegger: A Paradigm Shift (2015), asserting that Sheehan gripes about the translation of “Ereignis” as “event”, but we should “pay attention to the use of the term by an author [Heidegger], instead of assuming a rigid frame of reference of the reader [Sheehan]…” (p. 38). However, Sheehan points out in several places in which Heidegger himself refused the interpretation of Ereignis as an event (as early as page xvii in the foreword of Making Sense of Heidegger, and which Sheehan explicitly tackles in chapter 8). These issues are mostly just distracting, but if this book is being recommended to scholars who are interested in learning more about Heidegger but are not yet experts, more could be at stake than simply getting one or two tenets of Heidegger’s philosophy wrong.

Lastly, and most pedantically, Geertsema tries his hand at Heideggerian etymology which turns out merely decorative rather than argumentative or explanatory. Those of us who don’t find the etymology interesting or informative have to sit through Geertsema’s own attempt at it. For example, Geertsema proffers that every seeing is a saying, and points out that both the English word ‘saying’ and German word ‘sagen’ come from the Indo-European ‘seku’, which means to ‘scent’ or ‘smell’, meaning to follow the trace of something (in Latin, to ‘tell’ or to ‘sequence’ is a following, ‘inseque’), which is also where the English word ‘seeing’ and the German word ‘sehen’ come from (p. 113-4). Heidegger would often analyze etymology to make a point about the relatedness of two ideas, but Geertsema’s own analysis is hardly elucidating or argumentative.

Despite some issues, Geertsema’s HPPB is a fantastic resource for Heidegger scholars who are interested in getting a stronger handle on Heidegger’s own thought. And while Geertsema doesn’t offer much of his own thinking here, the ideas that he offers will be suggestive to anyone who has an interest in Heideggerian phenomenology or continental philosophy of language.

 

References:

Geertsema, M. J. 2018. Heidegger’s Poetic Projection of Being. Cham, Switzerland: Palgrave Macmillan.

Sheehan, T. 2015. Making Sense of Heidegger: A Paradigm Shift. New York, NY: Rowman &   Littlefield International Ltd.

Claude Romano: Être soi-même: Une autre histoire de la philosophie

Être soi-même: Une autre histoire de la philosophie Book Cover Être soi-même: Une autre histoire de la philosophie
Folio essais, n° 648
Claude Romano
Gallimard
2019
Paperback 15,90 €
768

Reviewed by: Grazia Grasso (University of Geneva)

Heureux qui comme Ulysse…

L’œuvre de Claude Romano qui vient de paraître chez Gallimard, consacré au thème de l’« être soi-même », est également « une autre histoire de la philosophie », comme il le dit dans le sous-titre ; à l’intention d’un large public, l’Auteur n’oublie pas la nécessité de définir les concepts philosophiques avec rigueur ; il ne s’adresse pas aux spécialistes, mais à quiconque s’est posé la question, dans quelques moments de sa vie, sur la signification d’être soi-même. Non pas, cependant, la question du sens de la vie en général, mais de sa propre existence particulière, de la direction qu’on lui a donnée, ou qu’elle-même a prise, comme souvent il arrive, sans qu’un choix vraiment conscient soit intervenu. Lorsque le bonheur que la société pousse à chercher dans un certain nombre de biens s’avère transitoire et illusoire, on se demande à qui l’on pourrait s’adresser afin qu’il soit plus durable et stable ; quelle attitude adopter : la première, qui émerge de cette œuvre, comme il est recommandé d’ailleurs dans la majeure partie des philosophies face aux illusionnes, c’est certainement celle de se détacher, de prendre de la distance par rapport au monde extérieur, et surtout à ses propres émotiones et illusions  ;  cette distance prise, il est nécessaire de chercher ce qui nous convient le mieux, mais sur la base de la connaissance de notre être personnel plus authentique, que l’Auteur indique comme notre « ipséité ». Dans cette recherche l’Auteur parcourt toute la philosophie occidentale, des classiques grecs à l’existentialisme, non sans quelques références aux philosophies de l’extrême orient, comme la doctrine zen, en passant par le concept de « nonchalance » en vogue à la Renaissance. Le mythe qui illustre bien le sujet est incarné par la figure emblématique d’Ulysse qui, ayant conclu la partie héroïque de sa vie, après avoir tout perdu, se présente comme « personne » devant Polyphème et regagne une identité propre seulement avec son retour à Ithaque. L’Auteur ne néglige pas de traiter le problème de la vérification de cette acquise authenticité qui,  si elle reste privée d’ancrage, ne devient qu’autoréférentielle et assujettie ainsi à de nouvelles erreurs et illusions. Après avoir introduit le thème d’Ulysse dans l’avant-propos, Claude Romano va cependant bien au-delà du schéma classique plotinien de l’exitus et du reditus qui a inspiré Augustin aussi bien que la théologie chrétienne, et dont l’ancrage est de nature divine.

Cette aspiration de l’homme à une « authenticité personnelle », à l’origine réservée à un nombre limité d’aristocrates, est devenue un phénomène de masse seulement en mai ’68 . Elle a finalement échappé au cercle restreint des penseurs, artistes, dirigeants politiques et ecclésiastiques, et s’est, pour ainsi dire, démocratisée. Cette étude est la première à en avoir cherché les racines les plus profondes – philosophiques, religieuses et esthétiques – et les origines les plus lointaines. Le rejet du mouvement de ’68 de vivre selon l’hypocrisie des coutumes, exigence déjà individuée par Rousseau, n’a pas trouvé qu’une réponse fragile et décevante chez les philosophes de l’existentialisme, dont l’Auteur expose et analyse tous les principaux courants de pensée, sans préjugés d’école philosophique ou d’orientation religieuse.

Rousseau, ou La révolution de l’authenticité qui donne le titre au premier des dix-sept chapitres du livre, est le philosophe qui le premier pose comme but primordial de l’homme d’être inconditionnellement soi-même et de lutter contre toute puissance d’oppression et d’aliénation ; car les regards des autres pèsent sur nous et nous réduisent en esclavage, préfigurant ainsi les célèbres analyses de Sartre. Critère de vérité n’est pas l’évidence, mais la sincérité du cœur, l’authenticité, la conviction subjective : l’idée d’une vérité purement subjective prend ainsi la place de celle objective et universelle ; cette distinction sera reprise, parmi d’autres, par Kierkegaard et Heidegger.

Après l’introduction, l’avant-propos et le chapitre sur la révolution de l’authenticité, la première partie de l’ouvrage porte le titre La vérité personnelle : sources antiques et tardo-antiques. Dans cette partie, composée des chapitres II-VI, l’Auteur trace une histoire du concept d’authenticité à partir du portrait qu’Aristote fourni du magnanime, première figure d’une vérité en personne et non en paroles, d’une vérité en actes et dans la vie elle-même. L’une des vertus principales du magnanime aristotélique est en effet l’être authekastos, c’est-à-dire sincère, franc, littéralement l’homme qui est lui-même et à qui la sincérité confère de l’estime et du respect de soi-même, condition de tout comportement vertueux. Le magnanime exerce cette qualité fondamentale d’une manière si naturelle et simple qu’elle lui donne une grâce et une distinction toute particulière : il n’aspire qu’à triompher dans l’ordre de la vertu négligeant ainsi soi-même.

L’Auteur ensuite décrit la magnanimité stoïque par rapport à l’aristotélique. L’idéal stoïque y est opposé à l’autonomie précaire du magnanime aristotélique, il consiste dans une maîtrise parfaite de soi, qui détache le sage des événements extérieurs. La stabilité du stoïque est liée à la nouvelle équivalence entre la vertu et le bonheur, sous l’influence d’un principe d’inspiration cynique. La magnanimité devient alors méprise du monde ; à la nonchalance et à la détente aristotéliques succède une présence constante à soi-même et une tension d’esprit continuelle sur soi-même et sur sa vie ; le bonheur est donc le fruit de ce travail sur soi et d’une ascèse : c’est-à-dire d’une stricte discipline non plus accessible seulement à un cercle restreint de sages, comme chez Aristote. Par rapport à l’être soi-même le magnanime cultive une complète sincérité car il ne dissimule rien : il est dans la vérité et dans la lumière ; un exemple d’un tel sage nous est offert par Marc Aurèle qui, dès son enfance était surnommé Verissimus. En philosophie, annote l’Auteur, il faudra attendre Rousseau, Kant et les pensées de l’authenticité pour retrouver des accents comparables. Après avoir complété le cadre de l’antiquité classique avec la pensée sur l’être soi-même de Cicéron, Quintilien et Fronton, l’Auteur examine la pensée chrétienne d’Ambroise et Augustin.

Ambroise soumet la rhétorique et la philosophie païennes à l’autorité des Écritures, en s’appuyant sur la conviction que les philosophes païens ont puisé, pour tracer le portait de leurs vertus, directement dans l’Ancien Testament, et il propose des exemples tirés des figures de Job, David, ou encore Abraham ; il ne s’agit donc pas tant de détourner des concepts païens vers une direction chrétienne, que de leur restituer leur sens d’origine. Ambroise définit l’idéal de sagesse en termes stoïciens : le but de toute vie éthique est d’arriver à vaincre les troubles de l’âme ; le modèle de cette tranquillité d’âme devient Abraham, obéissant sans se rebeller aux ordres de Dieu, avec une fermeté non différente de celle du stoïcisme. L’évêque de Milan donne aussi la première place à l’humilité et à la charité ; à la sincérité du stoïcien succède ainsi la simplicité chrétienne, vertu par excellence de Job et don de la grâce.

Avec Augustin la question de la vérité, qui avait été posée en termes généraux par Ambroise, est transposée sur le terrain des existences individuelles, et revêt ainsi le sens d’une vraie question existentielle. « Faire la vérité », comme le dit Augustin, consiste en premier lieu à cesser de nous flatter, à rompre avec l’amour propre et idolâtre de nous-même et à accepter de nous considérer dans notre nudité et notre misère ; et donc à confesser qu’on est pécheur et, par-là, à renoncer à l’orgueil, avec l’acte d’humilité de confesser nos péchés, acte par lequel l’homme se reconnaît faillible et reconnaît Dieu comme l’unique Bien. Pour devenir nous-même nous devons nous tourner vers Dieu. Nous sommes dans la vérité grâce à la confession à Dieu de nos péchés qui opère une transformation, où chacun peut expérimenter, pour ainsi dire, une sorte de seconde naissance. Cette conception trouve sa source dans le néo-platonisme, doctrine philosophique dont Augustin était imbibé avant sa conversion et son baptême et, notamment, dans la notion plotinienne de conversion, selon laquelle chaque être doit faire retour à la source d’où il procède ; cette conversion vers un Dieu qui n’est plus un être impersonnel, permet à l’homme de révéler en lui l’image de son créateur et de devenir par-là, authentiquement, celui qu’il est ; en se tournant vers Dieu l’homme reçoit de lui une illumination, de sorte que toutes ses œuvres en sont transformées ; il acquiert une stabilité existentielle car il réalise une pleine unité avec lui-même, sur le modèle de la simplicité divine, grâce au fait d’avoir retrouvé son centre de gravité, et donc son repos, en Dieu. C’est par la confiance en Dieu que chacun devient « lui-même » par excellence, ipse, comme Augustin le désigne.

Dans la deuxième partie intitulée L’être soi-même en tant que grâce, style et naturel à la Renaissance, composée des chapitres VII-X, l’Auteur introduit l’idée de « ipséité » en tant que grâce dans le sens mondain du terme, soutenue par Castiglione dans son Livre du Courtisan, grand succès dans les cours de la Renaissance italienne. Le courtisan de Castiglione incarne bien l’idéal renaissant de l’ « homme universel » par excellence, susceptible d’exceller dans tous les domaines avec une liberté nonchalante, car elle est le fruit de son détachement ; la qualité principale du courtisan doit être la grâce, qui harmonise son être intérieur et extérieur et lui permet de s’accorder avec soi-même, et par conséquence aux autres. La grâce reconduit l’homme à être soi véritablement, à une forme d’équilibre spirituel et existentiel ; elle est définie par l’auteur italien comme sprezzatura, expression de l’italien antique que Montaigne traduira avec nonchalance, et qui est opposé au studio, c’est à dire à l’application, au zèle ; la grâce est ainsi le contraire de l’affectation. Claudio Romano passe ensuite à appliquer le concept de grâce à l’art, où il correspond à l’aisance, à la facilité, à la simplicité et spontanéité du geste, enfin au style, qui ne peut pas être le produit direct d’une volonté. Voici la conception de l’ipséité : être soi, c’est ne rien faire pour l’être. L’Auteur procède alors à un intéressant excursus dans l’art de la Renaissance, en identifiant chez Raphaël et Titien de véritables exemples de style authentique.

Montaigne, continue l’Auteur, a sécularisé la notion de repos en Dieu d’Augustin ; il reprend ce concept dont l’exemple est l’assiette souple et aisée du chevalier, qui devient l’assiette de l’existence : c’est une assiette naturelle, qui se situe à l’opposé du rigide contrôle de soi des stoïciens, mais également différent du repos trop statique d’Augustin ; elle ne représente plus chez lui une qualité du courtisan, comme la grâce pour Castiglione, mais de l’homme en général. Montaigne appelle cette grâce, libérée de toute cérémonie et qu’il identifie à la simplicité et la vérité : le naturel ; et il propose Socrate comme modèle de simplicité de style dans les discours rapportés par Platon, dans lesquels s’exprime la simplicité de son être. Même si la simplicité de Montaigne présente souvent des nuances évangéliques, la source de son inspiration n’est pas la religion. C’est la question de l’unité avec soi qui prime chez Montaigne, et qui seule nous procure une assiette dans l’existence ; l’ipséité devient alors une forme de fidélité à soi et aux autres. La franchise s’exprime dans la liberté ; Claude Romano remarque combien cette union de nonchalance et de liberté chez Montaigne présente d’analogies avec la culture zen. Dans son fameux exemple de l’archer la tentative de contrôler consciemment le geste s’avère un obstacle au bon déroulement de l’action, tandis que le fait de laisser faire le corps se montre plus efficace.

Dans la troisième partie, Le déclin du naturel et l’essor de l’authenticité, chapitres XI-XVI, Claude Romano explique comment, à l’époque baroque, le naturel décline et la dissimulation devient alors un utile instrument d’auto-défense pour pouvoir survivre à la cour ; faudrait-il donc considérer licite toute sorte de dissimulation ? Le théâtre devient l’occupation préférée, appréciée aussi par Gracian, pour qui le paraître constitue l’être véritable et l’ostentation prend la place de la grâce chez Castiglione ; Gracian, jésuite casuiste, finit par plaider souvent pour le relativisme moral ; il sera apprécié par Nietzsche, pour qui les qualités d’acteur sont les caractéristiques des hommes de pouvoir. Dès le XVIIe siècle Gracian suscitera la violente réaction des jansénistes et, plus tard, celle de Rousseau.

Le jansénisme, avec son exigence de retour à l’orthodoxie, occupe une place importante dans l’œuvre de Claude Romano, car il fait action de démystification ; sa rigueur intransigeante va s’opposer au pragmatisme jésuite, finissant par gagner une large partie de France ; il va diffuser toute une sensibilité qui n’est plus favorable à la grande scène baroque et au théâtre. La vie intérieure prend la place du lustre et de l’ostentation. Fausseté et déguisement ne sont que tromperie pour Pascal ; la société humaine et ses institutions temporelles représentent la fausseté des vertus humaines et le jansénisme, selon la doctrine augustinienne des deux amours, demande de « haïr » soi-même pour aimer Dieu ; plusieurs traits la rapprochent du calvinisme. L’Auteur décrit ainsi, avec un soin tout particulier, les liens avec le jansénisme et les spécificités de la pensée de La Rochefoucault et de Mme de Lafayette.

Claude Romano ne quitte pas l’Âge classique sans avoir réfléchi à la contribution de Descartes qui propose sa propre conception de la magnanimité, appelée « générosité », dans des nuances néo-stoïciennes, surtout, avec son cogito ergo sum, qui traite du « moi ». Toutefois, ce sera seulement Locke qui fera de ce self l’objet d’une expérience interne qui n’est pas différente de celle des sens et qui ouvre la porte à toutes les égologies.

Rousseau considère que le guide et la source de toute bonté pour l’homme sont liés au problème de l’authenticité, qui se manifeste comme sentiment et témoignage intérieurs de sa propre conscience : idées chères au calvinisme ; la franchise et la totale transparence sont également une idée stoïque. Rousseau reprend ainsi les argumentations de Castellion et de Bayle sur le primat et l’obéissance à la conscience, et la peine pour ceux qui ne l’écoutent pas est le péché. C’est intéressant de remarquer comment pour Claude Romano cette attitude du philosophe genevois, qui n’hésite pas à dénoncer la fausseté de la société, peut être rapprochée en quelque sorte de celle du jansénisme ; toutefois, ajoutons-nous, la conviction que la malice de l’homme soit le fruit d’un système politique inique et d’une oppression économique, plutôt que la conséquence du péché originel n’est ni janséniste ni calviniste. Rousseau, remarque notre Auteur, est ici très proche du néo-protestantisme libéral qui se développe à Genève avec Turrettini, Vernet ou Vernes. Rousseau accuse la société d’hypocrisie et de mensonge, de conformisme et d’aliénation, où l’homme finit pour abdiquer à son être propre et, comme ce le sera pour Sartre, les regards que les uns portent sur les autres sont déjà servitude ; il conclut que l’essence de l’authenticité, et donc de la liberté, consiste dans l’autodétermination en vertu de laquelle chacun n’obéit plus qu’à la loi de sa conscience. La condition externe de cette liberté individuelle dépend d’un contrat social qui rétablit l’égalité des droits entre les citoyens. L’Auteur met en évidence les aspects utopiques et les contradictions de la pensée de Rousseau, mais il souligne aussi que l’authenticité de son paradigme a triomphé dans la philosophie moderne, au point de supplanter définitivement d’autres conceptions de la vérité personnelle.

L’Auteur s’emploie alors à exposer les pensées de Marivaux, Schiller et Kleist ; ces auteurs s’accordent dans la tentative de définir la naturalité du comportement humain faisant recours parfois à la grâce du geste involontaire et harmonieux, parfois « au se laisser aller » de la marionnette ou de l’animal. Il consacre enfin les derniers amples chapitres à l’exister en vérité de Kierkegaard et à l’authenticité radicale de Heidegger.

Pour le philosophe danois la vérité devient l’appropriation, l’intériorité et la subjectivité : la seule vérité sur laquelle une existence puisse se bâtir est celle que l’existant peut faire sienne ; ce n’est pas la vérité en soi et anonyme. La perspective de Kierkegaard est celle chrétienne d’une imitatio Christi ; il veut se rapprocher existentiellement de son idéal, en devenant un témoin de la vérité : car Christ est la vérité non comme une somme de propositions ou de concepts, mais comme une vie. On peut relever ici l’influence de Luther qui a souligné le caractère « subjectif » de la vérité du christianisme, en faisant de la sola fides le principe autour duquel se développe toute l’existence chrétienne ; mais Luther a été aussi, pour Kierkegaard celui qui a fait de la Réforme une institution, en trahissant le christianisme. Claude Romano explique ensuite la distinction des trois possibilités d’existence chez Kierkegaard :  l’existence esthétique, sous le signe de l’infinie possibilité et d’une vie sous un masque ; ensuite la vie éthique, symbolisée par l’engagement du mariage ; et enfin l’existence religieuse, selon le modèle du Christ. Dans le premier stade l’individu est enfermé dans une solitude désespérée qui présente des aspects « démoniaques » : il multiplie les conquêtes car il est incapable d’amour. Le stade éthique est représenté par la transformation de la fugacité de l’attrait pour une femme ou un homme dans un engagement éternel ; la valeur éthique de ce stade dépend d’un choix ferme et personnel, car la volonté est éveillée à soi-même et donne lieu à la personne morale. Dans le stade religieux l’homme est seul face à Dieu ; c’est la foi que lui permet, dans la crainte, dans le tremblement et dans l’angoisse de faire le saut vers la lumière : l’exemple est Abraham ; la subjectivité s’ouvre vers un Autre, elle trouve hors de soi un nouveau point d’appui : la vérité n’est plus à disposition du sujet. L’Auteur observe enfin que, pour Kierkegaard, le rapport avec Dieu est une relation personnelle, de seul à Seul : la foule déresponsabilise ; chacun doit donc éviter de se mêler aux autres, si non avec prudence.

Pour Heidegger enfin, l’angoisse de la solitude du Dasein devient l’équivalent d’un « solipsisme ». À Heidegger l’Auteur consacre autant de place qu’à Kierkegaard ; il observe immédiatement l’analogie de la pensée de Heidegger sur l’ « On », qui indique l’être impersonnel, avec la société des masques de Rousseau ; mais cet « On »  ne renvoie pas à la collectivité ou à la société humaine, mais à une manière d’être du Dasein, l’existant, lui-même ; l’aliénation, qui ne survient pas de l’extérieur mais du Dasein lui-même ne dérive pas d’une intention de tromper de manière volontaire, car la tentation de dissimulation et de déformation sont structurelles. Le Dasein s’aliène dans la foule pour échapper à l’angoisse existentielle et pour ne pas prendre de décision ; il s’appuie et se perd ainsi dans le « On » conformiste. L’être soi-même n’est qu’une modalité d’être du Dasein, comme l’est le Dasein perdu dans le « On » ; ainsi une structure triadique est créée : la différence entre les deux modalités du Dasein consiste dans le fait que dans le cas où il prend une décision, la modification dans son existence est produite de manière personnelle, par l’ipse et par conséquent elle est authentique ; dans le cas du « On » elle est produite de manière impersonnelle et inauthentique. Seulement face à l’angoisse de la mort le Dasein est finalement authentique, car il est seul.  Le concept de vérité de Heidegger devient alors, pour la première fois, radicalement subjectif, mais privé de tout contenu, car il est reconduit à une manière d’être, à la différence de Rousseau où le contenu consiste dans la sincérité envers soi-même, et de Kierkegaard, où le contenu est la foi. Chez Heidegger finalement c’est la volonté du Dasein de vouloir sa propre authenticité qui lui confère constance et fermeté ; ce sera ce rôle de la volonté qui permettra de mettre sa pensée au service de l’idéologie nazie.

Dans son court épilogue l’Auteur résume la question de l’adéquation à soi-même ou de l’être véritablement soi-même, qui n’est traitée que marginalement par la philosophie contemporaine, en deux tendances : dans la première, dont le stoïcisme est l’emblème, l’accord avec soi-même est réalisé par le moyen de la raison et de la maîtrise des passions de manière rigide ; dans la seconde, l’accord est obtenu par un mixte de contrôle et de laisser-aller négligent.

Dans l’apostille finale Claude Romano propose une sorte de monographie dans laquelle il suggère une série de pistes de réflexion et recherche au sujet du naturel ; par exemple : « Est-il possible de chercher à être naturel ? N’y aurait-il pas dans cet effort une contradiction avec la spontanéité liée à l’idée de naturel ? ».

En conclusion, le travail de Claude Romano est imposant et touche à une question peu traitée jusqu’à présent ; son style facilement accessible et ses descriptions claires le rendent un instrument indispensable pour tous ceux qui désirent lire ou relire l’histoire de la pensée occidentale concernant la recherche de l’authenticité.

Heureux qui comme Ulysse…

Alexander Schnell: Wirklichkeitsbilder

Wirklichkeitsbilder Book Cover Wirklichkeitsbilder
Philosophische Untersuchungen 40
Alexander Schnell
Mohr Siebeck
2015
Paperback 54,00 €
XII, 223

Reviewed by: Fabian Erhardt (Bergische Universität Wuppertal)

Zu Beginn des 21. Jahrhunderts haben zahlreiche Impulse der Phänomenologie in Theorien des Bewusstseins, der Kognition, der Emotion und der sozialen Koexistenz Einzug gehalten. Husserls explizites Programm, wonach Phänomenologie transzendentale Philosophie sei, erfährt meist eine tendenziell „stiefmütterliche“ Behandlung. So lange die Phänomenologie dank ihrer leistungsfähigen Deskriptionen zu einer präziseren Stilisierung unserer epistemischen Ausgangslage und ihrer Implikationen beiträgt, sehen auch „naturalistische“ Verwender ihres begrifflichen organon großzügig über ihre „idealistischen“ Vermessenheiten hinweg. Doch die Zeit einer Marginalisierung ihres erkenntnislegitimierenden Anspruchs scheint vorbei – das „Transzendentale“ ist wieder ein aktuelles Diskussionsthema in der Phänomenologie, das „spekulative Format der Philosophie“ noch nicht überall zugunsten einer „Sensibilität für sanfte commitments“ (Wolfram Hogrebe) oder reiner „Archäologien von Sinn- und Seinsverständnissen“ (Sophie Loidolt) verabschiedet. Statt wie zahlreiche PhänomenologInnen Zugeständnisse an die Kritiker der transzendentalen Ausrichtung der Phänomenologie zu machen, wählt Alexander Schnell zur Vorstellung seiner „generativen Phänomenologie“ eine offensive wie eigenständige Strategie: Gerade die Radikalisierung ihres transzendentalen Anspruchs am Leitfaden einer konsequenten Kritik der Allgemeingültigkeit der Aktintentionalität soll im Kontext gegenwärtiger Philosophie-Diskurse ihre argumentativen Ressourcen verdeutlichen.

Wie also „die Welt als konstituierten Sinn konkret verständlich zu machen“ (Hua I, 164)? Ausgangspunkt des Ansatzes ist eine doppelte Perspektivierung des Phänomenbegriffs. Gewöhnlich adressiert Husserl das Phänomen als „das reine Erleben als Tatsache“ (Hua XXXV, 77), also als das Faktum des Erscheinens von Gegebenheiten für das Bewusstsein, samt deren reflexiv aufweisbaren Implikationen (Abschattung, Apperzeption, Protention, Retention, Auffassung/Auffassungsinhalt, etc.). Er stößt aber – vor allem in den Manuskripten zum inneren Zeitbewusstsein und zur passiven Synthesis – auf „Tatsachen […], die sich nicht in einem anschaulichen konstitutiven Prozess aufzeigen lassen“ (5). Solche „Grenzfakten“ verweisen auf „fungierende Leistungen“, welche das Erscheinen von etwas im Bezugsrahmen einer intentionalen Korrelation aber überhaupt erst ermöglichen, und sich somit als Phänomen sui generis melden – ohne sich durch die „Positivität“ eines „in ihm“ Erscheinenden ontologisch zu stabilisieren. Beispiel: Wird ein Ton in der Perspektive des ersten Phänomenbegriffs als Zeitobjekt deskriptiv analysiert, können beispielsweise „Retention“ und „Urimpression“ als präreflexive Implikationen der Konstitution eben dieses Tons aufgewiesen werden. Der zweite Phänomenbegriff verschiebt den Fokus auf die Konstitution der Zeitlichkeit der Retention selbst: Ist diese „objektiv“ oder „subjektiv, „beides“, oder „weder noch“? Wie kann ein deskriptiv-anschaulich nicht weiter Erschließbares dennoch transzendentalphänomenologisch fundiert und ausgewiesen werden? Hier verstrickt sich die deskriptive Analyse in Antinomien, welchen Schnell zufolge nur durch eine „konstruktiv“ erweiterte Methodologie beizukommen ist, mit der sich Zugang zu den ursprünglich konstituierenden Phänomenen gewinnen lässt. Denn: Es „muss mit aller Schärfe betont werden, dass das Feld des Transzendentalen sich nicht auf das in einer anschaulichen Evidenz Gegebene reduzieren lässt“ (5). Ansonsten bleibt transzendentales Philosophieren auch in seinem phänomenologischen Vollzug in einen vitiösen Zirkel gesperrt, da das Zu-Legitimierende – das im Rahmen einer intentionalen Beziehung zwischen einer „subjektiven“ und einer „objektiven“ Instanz Erscheinende – seinerseits als Legitimationsgrundlage veranschlagt wird.

Mit dieser Einsicht einer notwendigen „»Heterogenität« zwischen Bedingendem und Bedingten“ (42) hebt die generative Phänomenologie an; sie stellt sich im Grunde als Versuch dar, diese Heterogenität zwischen Weisen der Gegebenheit und der Nicht-Gegebenheit methodisch zu operationalisieren. Dementsprechend bezeichnet „Generativität“ das „Hervorkommen und Aufbrechen eines Sinnüberschusses jenseits und diesseits des phänomenologisch Beschreibbaren“ (1). Für die „Wirklichkeitsbilder“ ist dabei „diesseits“ die leitende Präposition: Als ein transzendentalphilosophisch in Anspruch nehmbares „Diesseits“ der bipolaren Dichotomien wie Subjekt/Objekt oder Bewusstsein/Welt soll sich hier die Grunddimension enthüllen, welche die „Genesis des Sinns“ (1) erzeugt und selbigen als „Spielraum“ (5) jedes intentionalen Bezogensein-Könnens konstituiert. Eine solche Genesis kann nicht als „Vermögen“ eines „präexistierenden Subjekts“ (4) angesetzt werden – zur Disposition steht nicht die Sinngebung eines Bewusstseins, sondern die Sinnbildung selbst. Folgerichtig stellt auch nicht das „Subjekt“ den „Ausgangspunkt“ des vorgelegten phänomenologischen Verfahrens dar, sondern „die so unaufhörliche wie rätselhafte Erzeugung und Bildung des »Sinns«“ (82). Zwar weist diese eine „subjektive“ Dimension auf, doch um die „Kohärenz eines »sich bildenden Sinns«“ nachzuvollziehen, bedarf es der Thematisierung einer reflexiven und pulsierenden Architektur, in der „ideale“ (auf subjektive Aktivität rückführbare) und „reale“ (aus der objektiven Äußerlichkeit hervorgehende) Elemente sich als „gleichsam organisches Netzwerk von »Fungierungen«, »Leistungen« und […] »Begriffen«“ (83) manifestieren. Auf dieser genuin transzendentalen, weil für die Sinnbildung letztkonstitutiven Stufe ist das Objekt nie „reines“ Objekt, das Subjekt nie „reines“ Subjekt – deren architektonischer Einheit, nicht deren intentionalem Gegenübersein „entspringt“ Sinn. Damit kommt ein „präimmanentes“, wechselseitiges Vermittlungsverhältnis ins Spiel, in welchem sich die intentionale Korrelation in actu ausdifferenziert: Nicht als „ein Hin-und-Her zwischen zwei bloß formal herausgebildeten Polen“ (197), sondern als „»anonyme« Genesis des »sich bildenden Sinns«“ (83). Diese ereignet sich in einer „nicht aufzuhebenden Spannung“ (206) zwischen einer „subjektiven“ und einer „objektiven“ Instanz – und damit „diesseits“ dieser Unterscheidung.

Von zentraler methodologischer Bedeutung sind nun „die jedem Sinnphänomen innewohnenden genetisch-imaginativen Prozesse“ (2). Diese gehen „konstitutiv jeglicher realen und faktischen Fixierung“ (18) voraus und ermöglichen, dass Sinn sich als der Spielraum der Weltoffenheit je schon schematisiert hat; ein Spielraum wohlgemerkt, den „jede objektivierende Wahrnehmung“, ja „jedes objektivierende Bewusstsein überhaupt“ (43), voraussetzt: „Diese »Selbst-Schematisierung« ist das eigentliche und ureigene Werk der Einbildungskraft […].“ (196) Als terminus technicus der generativen Phänomenologie bezeichnet die Einbildungskraft nicht ein subjektives Vermögen, sondern ein transzendentales „Verfahren zur Darstellung des Wirklichen“ (64), welches unablässig die Horizonte möglicher Gegenstandsbezüge des intentionalen Bewusstseins dadurch generiert, dass es „sowohl de[m] Überschuss des »Wirklichen« gegenüber dem »Bewussten« als auch de[m] Überschuss des »Erlebens« gegenüber dem »Objektivieren«“ (64) Rechnung trägt. Das Bild ist die Art und Weise, „wie diese Darstellung sich konkret vollzieht“ (64), da in ihm „Ich“ und „Nicht-Ich“ in ein „innerliches“, produktives Verhältnis gebracht und gehalten werden. Schnell bezeichnet diesen Umstand als eine durch die Einbildungskraft geleistete „Endoexogenisierung“ (26) des phänomenalen Feldes, eine Figur der Subjektivität, die an Heideggers Begriff des „ausstehenden Innestehens“ anknüpft. In ihr zeigt sich die nie zu fixierende „»Zweideutigkeit« zwischen einem »anonymen« und einem bestimmten »subjektiven« Charakter“ der Sinnbildung, eine „Doppelbewegung“ des „Schwebens“ oder „Schwingens“ „zwischen einer »endogenen« (Immanenz, Innestehen) und einer »exogenen« Dimension (Transzendenz, Ausstehen)“ (206).

Zur Untersuchung der „Regeln und Gesetzmäßigkeiten“ (89) der Genesis des Sinns entwickelt Schnell die „phänomenologische Konstruktion“ als „methodologische[n] Grundbegriff der neu zu gründenden transzendentalen Phänomenologie“ (37). Mit ihrer Hilfe soll „jegliche Faktualität in Bewegung“ versetzt werden können, „erzittern“ (6), um Zugang zu einer Konstitutionsstufe „diesseits des »Gegebenen« und des »Wahrgenommenen«“ (2) zu eröffnen. Die phänomenologische Konstruktion ist dabei eine „»generative« Verfahrensweise“ (5) – genauer: deren drei –, welche die „»bildenden« Prozesse“ zu Tage fördert, die dem „Haben“ eines „Realen“ oder eines „Gegebenen“ vor jeder faktischen „Absetzung“ zugrunde liegen. Als „Entwurf“ unternimmt eine phänomenologische Konstruktion den Versuch, die – phänomenologisch aufgefassten – transzendentalen Bedingungen des vom Phänomen Geforderten zu genetisieren. Die Ausgangspunkte phänomenologischer Konstruktionen sind die Endpunkte der deskriptiven Analyse. In einer Art (generativer) »phänomenologischer Zickzack-Bewegung«“ (38) suchen sie zwischen den „deskriptiv nicht weiter erklärbaren Phänomenen und eben dem zu Konstruierenden hin und her“ (150) zu „schwingen“. So soll das „wechselseitige Bedingungsverhältnis von Genesis und Faktualität“ (107) in eine Erfahrung transponiert werden. Diese weist eine transzendentale Struktur auf, dergestalt, dass sie sich als Ermöglichung der Möglichkeit des Ausgangspunktes realisiert. Ontologisch handelt es sich bei dem Zu-Konstruierenden weder um ein im Voraus Gegebenes, noch um eine allererst Hervorzubringendes, sondern um etwas, das einem anderen „architektonischen Register“ als dem intuitiv Individuierbaren, schon Konstituierten angehört, und der Unterscheidung zwischen Erkenntnistheorie und Ontologie vorausliegt. Mit dem Erfassen des Status dieser Methode steht und fällt das Vorhaben der „Wirklichkeitsbilder“: Ihrer Darstellung und Exemplifikation ist der in zehn Kapitel gegliederte Text im Wesentlichen gewidmet. Während die ersten drei Kapitel – „Einleitung“, „Phänomen und Konstruktion“, „Die Einbildungskraft“ – eine ideengeschichtliche Verortung sowie eine systematische Grundlegung der methodologischen Optionen leisten, „erproben“ die sechs folgenden Kapitel – „Das phänomenologische Unbewusste“, „Die Realität“, „Die Wahrheit“, „Die Zeit“, „Der Raum“ und „Der Mensch“ – das phänomenologische Konstruieren in Einzelanalysen. Hierbei werden jeweils phänomenologische Konstruktionen „vorgeführt“: Zwei nicht aufeinander reduzierbare, aber unverzichtbare epistemische Zugänge zum jeweiligen Thema werden phänomenologisch-konstruktiv um eine generative Grunddimension erweitert, die als Ermöglichung ebendieser Zugänge einsichtig wird. Das letzte Kapitel ist einer abschließenden wie ausblickenden Reflexion der Perspektiven gewidmet, die sich im Rahmen einer generativen Phänomenologie eröffnen.

Im ersten Kapitel wird dargelegt, weshalb sich die generative Phänomenologie jedem Versuch entgegenstellt – Schnell referiert als zeitgenössische Beispiele die Theorien von Claude Romano und Jocelyn Benoist –, „den Sinn in einem vorausgesetzten Realen“ (19) zu verankern. Vielmehr gilt es, die „Möglichkeit der Notwendigkeit“ (20) eines sich als real Darstellenden zu „be- und hinterfragen“ (20). Damit gerät die Aufgabe in den Blick, „die Notwendigkeit auf ihre eigene Notwendigkeit hin zu untersuchen“ (20): Die Frage ist nicht, wie sich ein sowieso notwendig Reales phänomenal bekundet, sondern wie sich die Notwendigkeit eines hypothetisch Realen phänomenalisiert. Sobald eine subjektivierte oder objektivierte „Fundierung“ der Notwendigkeit des Realen in Anspruch genommen wird – ob anschaulich beschreibbar, ob logisch oder spekulativ deduzierbar –, ist diese genuin phänomenologische Aufgabe übersprungen und der Begriff der Realität – konträr zu den Ambitionen jedes „Realismus“ – um seine Sachhaltigkeit gebracht. Um dem zu entgehen, bedarf es „jede einseitig ontologisch oder erkenntnistheoretisch ausgerichtete Verfahrensweise aufzugeben“ (22). Vielmehr erfordert das Programm der generativen Phänomenologie die Auseinandersetzung mit konkreten phänomenalen Gehalten, um „»eine transzendentale Erfahrung herauszustellen« und vor allem ein transzendentales Feld zu begründen, das diesseits jeder »anschaulichen« Erfahrung angesiedelt“ (24) und imstande ist, eine einem jeweiligen phänomenalen Gehalt angemessene „Fundierung ohne Fundament“ (22) zu leisten. Die Erschließung dieses „»anonyme[n]«, »präimmanente[n]«, »präphänomenale[n]« Feld[es]“ (26) verlangt Schnell zufolge eben jene „phänomenologischen Konstruktionen“, die er im Rahmen des generativen Ansatzes mithilfe der Feinabstimmung eines „spekulativen Transzendentalismus“ und einer „konstruktiven Phänomenologie“ zu entwickeln sucht.

Das zweite Kapitel befasst sich mit den phänomen- und erkenntnistheoretischen Grundlagen der konstruktiven Methodologie. Leitend ist dabei ein „Phänomenalitäts“-Typus, der „diesseits der reinen Gegebenheit in der immanenten Sphäre des transzendentalen Bewusstseins zu verorten ist“ (30). Als Pointe von im Detail doch sehr unterschiedlichen Ansätzen – Husserl, Heidegger, Kant – destilliert Schnell, dass es ein Phänomenalitäts-ermöglichendes Nicht-Erscheinen im Phänomen selbst gibt, von dem her sich das Phänomen überhaupt erst als Phänomen und nicht lediglich als unmittelbares Erscheinen eines objektivierten Seienden thematisieren lässt. Hier erweist sich die genuin „transzendentale Dimension des Phänomens innerhalb der Phänomenalität“: Es handelt sich dabei um jene „dynamische Dimension des Erscheinens, die sich nicht auf einen stabilen ontologischen Grund stützen kann“ (32) – nicht einmal auf eine fixe zeitliche Bestimmung –, und selbst nie als „Seinspositivität“ gegeben ist. Diese als „generativ“ ausgezeichnete Dimension in der „präimmanenten Sphäre des Bewusstseins“ (37) bietet Schnell zufolge die „Möglichkeit der Legitimierung des Sinns des Erscheindenden“ (37), ohne das transzendentale Bedingungsverhältnis qua Homogenisierung von Bedingendem und Bedingtem in einem vitiösen Zirkel zu de-plausibilisieren. Hierzu werden drei Gattungen phänomenologischer Konstruktion konzipiert. Phänomenologische Konstruktionen erster Gattung beziehen sich als „Genetisierung“ von Tatsachen auf einen präzisen Gegenstandsbereich, der auf der Ebene der immanenten Bewusstseinssphäre widersprüchliche „Fakta“ zeitigt, deren mögliche vorgängige Einheit in der präimmanenten Bewusstseinssphäre qua Konstruktion konkret ausweisbar ist. Die phänomenologische Konstruktion zweiter Gattung entspinnt sich zwischen „dem sich in der immanenten Bewusstseinssphäre darstellenden Phänomen“ (39) und dem virtuellen Horizont seiner Phänomenalisierung. Ihren Fokus bildet somit das „Aufbrechen der Genesis“ als Wechselspiel zwischen Vernichtung und bildendem Erzeugen, das als einheitliches Prinzip der Phänomenalisierung die Differenz zwischen Erscheinen und Erscheinendem konkretisiert. Eine phänomenologische Konstruktion dritter Gattung zielt auf die „ermöglichende Verdopplung“ (40) seines transzendentalen Bedingungsverhältnisses, also auf das Möglichmachen der Möglichkeit selbst. Damit realisiert sie die Einsicht, dass auf der transzendentalen Stufe der letztursprünglichen Konstitution des Sinnes des Erscheinenden die bedingende Möglichkeit sich selbst in ihrem Vermögen erscheint, das, was möglich macht, ihrerseits möglich zu machen.

Schnell exemplifiziert diese Bestimmungen im Entwurf einer generativen „Phänomenologie der Erkenntnis“. Erkenntnis als Erkenntnis ist nicht an einen bestimmten Gegenstand gebunden; zudem ist Erkenntnis nie thematisch und explizit gegeben, erscheint also nicht zusätzlich zu dem Wie des Gegebenseins eines phänomenalen Gehalts in der immanenten Bewusstseinssphäre. Damit stellt die Erkenntnis den Prototyp eines „unscheinbaren“ Phänomens dar, dessen spezifischer Phänomenalitäts-Typus sich nun qua phänomenologischer Konstruktion dritter Gattung ausweisen soll. Zuerst bilden wir uns einen „noch völlig leeren Begriff“ (43) dessen, was eine Erkenntnis als Erkenntnis auszeichnet. Unabhängig davon, wie viel inhaltliche Konkretisierung wir diesem Begriff beilegen, kommt er nicht umhin, sich als „bloße Vorstellung“ (43) zu reflektieren, nicht als tatsächliche Auszeichnung der Erkenntnis als Erkenntnis, sondern als ein „ihr gegenüberstehender Begriff davon“ (43). Um zur Auszeichnung selbst zu gelangen, muss das soeben Entworfene vernichtet werden. Es stellt sich also parallel zu jeder bloß projizierten Vorstellung ein „reflexives Verfahren“ (44) ein, das Schnell als genetischen Prozess von Erzeugung und Vernichtung bezeichnet. Anders formuliert: Im Auseinandertreten von angepeilter Auszeichnung der Erkenntnis als Erkenntnis und bloßer Vorstellung reflektiert sich die intentionale Struktur des Bewusstseins selbst. Diese Autoreflexion der Bewusstseinskorrelation ist nun genau in dem Maße präintentionales Bewusstsein, in dem sie weder ontologisch stabilisierbar noch zeitlich fixierbar ist. Damit erweist sich dieser durch die phänomenologische Konstruktion aufgedeckte „präintentionale Setzungs- und Vernichtungsakt“ (44) als konkrete Bedingung der Möglichkeit der Phänomenalisierung der Intentionalität, die eben gerade dadurch bestimmt ist, „dass das in ihr Konstituierte nicht in einem ihm Zugrundeliegenden fundiert ist“ (44). Wie ist es aber zu erklären, dass diese „zweifache entgegengesetzte vorsubjektive (und »plastische«) »Tätigkeit« eines Setzens und Aufhebens“ sich nicht einfach als „rein mechanische »Tätigkeit«“ (44) vollzieht, sondern sich bemerkt? Nur dadurch, dass sich die Reflexion der Vorstellung wiederum reflektiert, diesmal eben nicht als Reflexion der Vorstellung, sondern als Reflexion der Reflexion. Damit erschließt sich „das Reflektieren in seiner Reflexionsgesetzmäßigkeit“ (44): Es bekundet sich als Feld des „reinen Ermöglichens“ (45), das an keinem „je schon objektiv Gegebenem“ (44) haftet – weder an einem vorgestellten Gehalt auf der Ebene des immanenten Bewusstseins, noch an der Reflexion dieses Gehalts als bloßer Vorstellung. Diese Reflexion der Reflexion ist das „Urphänomen“ der Phänomenologie der Erkenntnis:  Sie drückt qua „Sich-Erfassen als Sich-Erfassen“ das „reflexible »Grundprinzip« der Ermöglichung des Verstehens von…“ (46) aus – wodurch das Erkennen als Erkennen losgelöst von jedem konkreten Inhalt und damit als Phänomen sui generis auszeichnet wäre. Vor diesem Hintergrund formuliert Schnell das „transzendentale Reflexionsgesetz“, wonach „jedes transzendentale Bedingungsverhältnis seine eigene ermöglichende Verdopplung impliziert“. Die ermöglichende Verdopplung ist eine „produktiv-erzeugende Vernichtung“ (45): Sie vernichtet jede erfahrbare Positivität eines Bedingenden, und macht so ein Bedingtes möglich. Dergestalt weist das transzendentale Reflexionsgesetz nicht lediglich die Ermöglichung dieser oder jener konkreten Möglichkeit, sondern die Ermöglichung jeder Möglichkeit als Möglichkeit – und damit das „allgemeinste Prinzip“ jeder Erkenntnisbegründung – phänomenologisch aus.

Im dritten Kapitel steht die Einbildungskraft als Grundbegriff des transzendentalen Philosophierens im Mittelpunkt. Wie lässt sich am Leitfaden der Einbildungskraft und des Bildes „die Frage nach dem Status der intentionalen Korrelation“ (59) neu aufwerfen und beantworten? Zunächst ist die Korrelation keine „äußere“, die „Subjekt“ und „Objekt“ in ein Verhältnis „partes extra partes“ stellt, sondern sie zeichnet sich durch eine „apriorische Synthetizität“ ihrer Glieder aus. In der Korrelation werden „eine Dimension der »Innerlichkeit«, die dem wahrnehmenden Subjekt eigen ist, und eine Dimension der »Transzendenz«, die dem Wahrgenommenen zugehört, unzertrennlich zusammengehalten“ (62). Das Zugleich von Abstand und Verbindung zwischen Ich und Welt realisiert sich im Bild als „Vektor der transzendentalen Leistungen der Einbildungskraft“ (63). Anders als in der Wahrnehmung und im Urteil, wo stets etwas etwas „gegenüber“ steht, unterläuft die Einbildungskraft so die gängigen, bipolaren Beschreibungen der intentionalen Struktur wie Subjekt/Objekt oder Bewusstsein/Welt. Schnell formalisiert dies als den „doppelten Entwurf des »Anderen-für-das-Selbst« und des »Selbst-im-Anderen«“ (64). Die sich hier abzeichnende „Spannung zwischen einer Immanentisierung und einer radikalen Transzendenz“ (64) ist notwendige Bedingung des phänomenalen Feldes, da es bei Zusammenbruch dieser Spannung sofort implodieren würde – diese „Endo-Exogenisierung“ (64) ist für Schnell die basale Leistung der Einbildungskraft. Wie aber leistet das Bild die „Endo-Exogenisierung“ des phänomenalen Feldes? Durch eine „phänomenalisierende“, eine „fixierende“ und eine „generative“ Dimension. Das Bild lässt etwas „erscheinen“; hierzu muss es „die unendliche Beweglichkeit des »Seienden« »diesseits« seiner Phänomenalisierung“ (65) zugunsten einer relativen Stabilität fixieren, wobei es stets Gefahr läuft, lediglich Scheinbilder oder Simulakren zu erzeugen. „Generativ“ ist das Bild nun in diesem Sinne, dass es auf einer „höheren Stufe […] die Beweglichkeit des phänomenalisierten Seienden widerspiegelt“. In dieser „Verdopplung des Bildbewusstseins“ realisiert sich nicht lediglich eine nachträglich gestiftete Einheit von Phänomenalisierung und ontologischer Stabilisierung, sondern die „»reflexible« Dimension der Einbildungskraft“ (66), die den genuin produktiven Charakter des „Bildens“ über alles „Abbilden“ hinaus ausmacht. Auf dieser „ursprünglich konstitutiven Stufe der intentionalen Korrelation“ (67) sind die Fungierungen und Leistungen der Einbildungskraft „ein Grundbestandteil der Konstitution der Realität“ (67). Hierin liegt der Sinn der Rede von der „imaginären Konstitution der Realität“: Deren Pointe ist es gerade nicht, eine diffuse Kontaminierung des Realen durch das Imaginäre zu konstatieren, sondern umgekehrt das Imaginäre als conditio sine qua non der Bestimmbarkeit des Realen als Reales einsichtig zu machen. Selbstverständlich lassen sich eine Faktualität nackter Tatsachen sowie eine irreduzible Ereignishaftigkeit der Welt „registrieren“, und dennoch: „Sobald diese Realität aber auch nur auf ihre geringste Bestimmtheit hin betrachtet wird, kommt die Einbildungskraft ins Spiel“ (68).

Kapitel vier ist der Frage nach einem „phänomenologischen Unbewussten“ gewidmet. Das Unbewusste ist als ein „bildendes Vermögen“ (78) strukturiert. Schnell unterscheidet „drei Fungierungsarten der Einbildungskraft diesseits des immanenten Bewusstseins“ (84): das genetische phänomenologische Unbewusste, das hypostatische phänomenologische Unbewusste, sowie das reflexible phänomenologische Unbewusste. Das genetische phänomenologische Unbewusste bekundet sich dort, „wo die Sphäre einer »immanenten« Gegebenheit überschritten wird“ (74). Der prekäre Status des genetischen phänomenologischen Unbewussten besteht darin, dass sich „der »positive« – im eigentlichen Sinne »genetische« – Gehalt, der hier aufgedeckt wird, auf nichts »Gegebenes« stützen kann“; stattdessen arbeitet sich die Phänomenologie an einer „gewissermaßen »negative[n]« Dimension des phänomenalen Feldes“, also am „Schwanken“ und der „Flüchtigkeit“ diesseits der Stabilität der objektiven Wirklichkeit“ – der „Genesis“ (75) – ab. Das hypostatisch phänomenologische Unbewusste bezeichnet als zweiter Typus des phänomenologischen Unbewussten dagegen den „ersten Stabilisator aller intellektuellen Tätigkeit“ (76). Es gewinnt der „grundlegenden Tendenz“ der Genesis „zur Mobilität, zur Diversität und zum Wechsel“ (75) qua Einbildungskraft eine gewisse „Unbeweglichkeit und Starre“ (76) ab. Während das genetische phänomenologische Unbewusste grundsätzlich „unendlich variabel“ ist, akzentuiert das hypostatische phänomenologische Unbewusste je „denselben Aspekt des Phänomens“ (76). Als wesentlichsten Unterschied zwischen diesen beiden Typen des phänomenologischen Unbewussten veranschlagt Schnell, „dass das hypostatisch phänomenologische Unbewusste sich grundlegend auf die Realität […] bezieht, während das genetische phänomenologische Unbewusste eher zur Aufklärung einer gewissen Erkenntnisweise der Phänomene beiträgt“ (76f.). Dem dritten Typus des phänomenologischen Unbewussten – dem reflexiblen Unbewussten – obliegt darüber hinaus die Aufgabe, das konstituierende „Vermögen des phänomenologischen Diskurses selbst“ (77) einsichtig zu machen. Das „»Gesetz« des »Sichreflektierens« der Reflexion“ (78) entfaltet die Einbildungskraft in „all ihre[r] konstitutive[n] und reflektierende[n] Kraft“ (78) und „begründet“ damit „die »imaginäre Konstitution« der Realität“ (78).  Wie verhält sich ein derart bestimmtes Unbewusstes nun zum Selbstbewusstsein? Die These der generativen Phänomenologie lautet, dass „das Selbstbewusstsein im Gegenstandsbewusstsein […] sich nicht reflexiv erklären“ lässt, sondern einen „unmittelbaren Bezug“ voraussetzt, der „eben in den Bereich des Unbewussten“ (79) fällt. Dieser kann „nicht »phänomenologisch konstruiert«“ (80) werden, und unterscheidet sich so von den drei entwickelten Typen des phänomenologischen Unbewussten. Damit positioniert sich die generative Phänomenologie auf einer Linie mit Fichte in klarer Abgrenzung zu „reflexiven Explikationsmodellen des Selbstbewusstseins“ (80). Selbstbewusstsein gründet nicht auf einem Bewusstseinsakt höherer Stufe, der sich von einem erststufigen Bewusstseinsakt numerisch unterscheidet, sondern ist als eine „»präreflexive« Dimension“ (81) in die erststufige, gegenstandsgerichtete Intention „eingebildet“. Der „unbewusste“ Charakter des Selbstbewusstseins besteht demzufolge darin, dass „der Intentionalität (zumindest teilweise) eine Nicht-Intentionalität zugrunde liegt“ (81).

Welchen Beitrag kann ein generativer Ansatz transzendentalen Philosophierens nun zu den gegenwärtigen Kontroversen leisten, die von einem neuerdings erhobenen „realistischen“ Ton in der Philosophie geprägt sind? Ebendiesen legt Kapitel fünf dar. Primäres Ziel ist es, den Standpunkt des Korrelationismus zu präzisieren – „und zwar eben durch das Prisma der Bestimmung der Realität“. Somit gilt es sowohl zu verstehen, was „jedem intentionalen Akt »Realität« zukommen lässt“, als auch „welcher Status der »Realität« dem, was über das Bewusstsein »hinausreicht«, zuzuschreiben ist“ (90). Der Beitrag der generativen Phänomenologie erweist sich als komplexe wie nuancierte Ausarbeitung einer irreduziblen Multidimensionalität des Realitäts-Begriffs. Eines einseitigen Idealismus ist sie dabei deshalb völlig unverdächtig, weil die Grundkategorien der Phänomenalisierung für ihre „realitätsstiftenden Leistungen ein wechselseitiges Bedingungsverhältnis mit dem Konstituierten“ (108) implizieren. Transzendentale Konstitution kann sich nur als ontologische Fundierung realisieren, welche – einer Art fortwährenden „Epigenese“ nicht unähnlich – die Konstitution selbst kontaminiert. Was die generative Phänomenologie deutlich von gängigen Realismen abhebt, ist die Erarbeitung zahlreicher Aspekte der Nicht-Gegebenheit, die maßgeblich zur Sachhaltigkeit und Intelligibilität des Begriffs der Realität beitragen. Denn „[d]as Reale ist nicht das Gegebene“ (90): Hierfür sprechen die Rolle der Unscheinbarkeit und der Präreflexivität in der Phänomenalisierung, die Präimmanenz als „Milieu“ der Genesis, sowie die reflexive Vernichtung des Bewusstseins in jeder stabilisierten Bestimmung – „das Bewusstsein ist das Vehikel des Gegebenseins, die Realität ist das Zugrundegehen des Bewusstseins“ (91). Den „höchsten Punkt“ der generativen Realitätsproblematik bildet die „Identifikation von Realität und »Reflexion der Reflexion«“ (108), welche die Zusammengehörigkeit des transzendentalen und des ontologischen Status des in der Sinnbildung Eröffneten stiftet. Zu erwähnen ist zudem das den Ausführungen zur „Realität“ angestellte „anankologische Argument“, welches Schnell gegen die Angriffe des „spekulativen Realismus“ auf den „Korrelationismus“ bemüht. Zu Erinnerung: Eine anzestrale Aussage bezieht sich auf einen Sachverhalt, der vor jeglicher tatsächlichen Gegebenheit von Bewusstsein gültig gewesen sein soll, wodurch die angebliche Überflüssigkeit des Korrelationismus aufgezeigt sein soll. Wie aber dem anzestral Bedeuteten die Notwendigkeit objektiver Realität zuweisen? Ohne ein in die Sinnbildung einbehaltenes Bewusstsein kann nicht darüber befunden werden, welche anzestralen Propositionen der Wahrheit entsprechen, und welche nicht – die Möglichkeit, den Sinn einer solchen Proposition zu verstehen, wäre nicht gegeben: „Während beim klassischen ontologischen Argument die Hypothese des Denkens der Wesenheit des Absoluten die Existenz des Absoluten impliziert, schließt hier […] die Existenz der Anzestralität die Notwendigkeit der möglichen Gegebenheit für und durch das sinnbildende Bewusstsein“ (112) ein. Das heißt: Durch die wohlgegründete Behauptung der Anzestralität wird die „Generativität“ des Korrelationismus bewiesen. Dieser pocht im vorliegenden Fall ja gerade nicht auf ein konstituierendes Subjekt, das einem – letztlich nicht intelligiblen – Gegenstand gegenübersteht, sondern ist als jener Sinnbildungsprozess konzipiert, in dessen Genesis sich die notwendige Sachhaltigkeit respektive die Nicht-Halluziniertheit des anzestralen Gegenstandes überhaupt erst herauskristallisieren und stabilisieren konnte.

Kapitel fünf behandelt den Begriff der Wahrheit. Die Phänomenologie fragt nicht primär nach der Wahrheit der „Korrespondenz“ qua logischem oder sinnlichem Zusammenhang zwischen einem Aussagesatz und der ihm entsprechenden Realität, sondern danach, wie sich eine Welteröffnung vollzieht, im Rahmen derer sich etwas als etwas zeigen kann, und damit überhaupt erst „Korrespondenz“-fähig wird. Zentral ist demnach das „konstitutive Verhältnis zwischen der Korrespondenz-Wahrheit und der »ursprünglichen« Wahrheit“ (129). Drei Dimensionen der Wahrheit werden hier relevant: Die „phänomenalisierende Dimension der Wahrheit“ verweist darauf, dass „jegliche[r] »Gegenstand« der Wahrheit“ (129), auf irgendeine Weise zur Darstellung gelangen muss, womit die Entdeckung einer „Sache“ auf eine „konstitutive Weise in ihr Wahrsein“ eintritt. Die „phänomenalisierende Wahrheit“ ist als eine „Manifestierung für… (Erscheinung für…, Gegebenheit für…) einen »Zeugen de jure«“ (130) notwendige, aber keine hinreichende Bedingung jeder Wahrheit. Die zweite Dimension betrifft den „Entzugscharakter der Wahrheit“: In einem transzendentalen Bedingungsverhältnis realisiert sich die Objektivierung eines Bedingten durch den Entzug seines Bedingenden – ein Entzug, der als „negativer Bezug“ in „jede Manifestierung, Erscheinung oder Gegebenheit hineinspielt“ (131). Der Entzug kann sich nun aber als Selbstreflexion dieses „wechselseitigen Bedingungsverhältnisses“ genetisieren, dergestalt, dass er sich als „stetige[r] Wechsel zwischen einer »Präsenz« und einer »Nicht-Präsenz«“ (132) realisiert. Eine solche „Erfahrung“ des Transzendentalen impliziert, „dass das Bedingte auf das Bedingende zurückwirkt“ (131), was eben die Wahrheit „der Erscheinung bzw. der Gegebenheit selbst ausmacht“ (132). Der dritten, der „generativen Dimension der Wahrheit“, obliegt eine doppelte Aufgabe: Sie bestimmt den Entzugscharakter der Wahrheit auf positive Weise und macht verständlich, was genau die Wahrheitsdimension des konstruktiven Vorgehens kennzeichnet. Beides leistet sie als Reflexion der Reflexion: „Die Wahrheit ist die Reflexion der Reflexion […].“ (132) In einem ersten Schritt stellt sie einen Abstand her, in dem sich der Entzugscharakter spiegelt; in einem zweiten Schritt erweist sich die Wahrheit als „produktive Reflexivität“, als eine „erzeugende, schöpferische, d.h. generative Dimension“. Die Wahrheit ist die Dimension, in der sich das Transzendentale als reines Vermögen der Realisierung selbst realisiert: Ein Gegenstand wird reflexiv gesetzt, wodurch dessen Reflexionsgesetz allererst bedingt wird. Nur so entsteht überhaupt ein „Probierstein der Realität“ (133), dergestalt, dass ein Gegenstand nach Maßgabe der präimmanenten Binnendifferenzierung, in welcher sich die Ermöglichung seines So-Seins herausbildet, thematisierbar wird. Denn ein Gegenstand, der eine Aussage wahr macht, ist nicht selbst die Wahrheit; die Wahrheit ist die reflexive Bezugsdimension, eine Art intelligibler Holon, in welchem der Gegenstand als Einheit der Differenz von Reflexion der Reflexion und Realität appräsentierbar ist. Die logische Gestalt, in welcher sich dies zusammen denken lässt, ist die „kategorische Hypothetizität“ (134): Sie bezeichnet den Umschlag einer Möglichkeit in eine Notwendigkeit im Vollzug der Genetisierung einer nicht weiter deskriptiv analysierbaren Gegebenheit qua phänomenologischer Konstruktion – und damit einen Vorschlag zur Lösung der Frage, wie das Notwendige möglich ist. Dass ein solcher „Sprung im Register“ sich in actu realisiert und nicht „untergeschoben“ wird, befreit den generativen Wahrheitsbegriff aus den vitiösen Zirkeln, welche transzendentales und hermeneutisches Philosophieren bis heute prägen.

Das sechste Kapitel unternimmt eine Abhandlung des Problems der Zeit. Wenn die Zeit weder eine subjektive noch eine objektive „Form“, wenn ihre „Vorausgesetztheit“ nicht empirisch-real noch rein logisch ist, sie sowohl in ihrer transzendentalen „Idealität“ wie auch in ihrer empirischen „Realität“ zu denken ist: Wie kann die von Husserl eingeführte, genuin zeitkonstituierende Intentionalität bestimmt werden? „Aktiv-signitiver“ Art kann sie nicht sein, da es sich „um keinerlei bedeutungsstiftende Intentionalität“ (146) handelt; „passiv-intuitiver“ Art kann sie aber auch nicht sein – zwar ist sie sicherlich passiv in dem Sinne, dass sie nicht eigens hervorzubringen ist, aber Anschaulichkeit reicht nicht hin, um ihre präintentionale Konstitution verständlich zu machen. Es gilt also, qua phänomenologischer Konstruktion eine Form der Selbstgegebenheit aufzuzeigen, die weder „auf ein rein passives Vorliegen, noch auf eine Einbettung der Spontaneität in eine [bereits objektiv konstituierte, F.E.] zeitlich-sinnliche Dimension verweist“ (150). Hierzu unterscheidet Schnell zuerst zwei Arten der immanenten Zeitlichkeit, „erlebte Zeit“ und „gestiftete Zeit“: Die erlebte Zeit umfasst das volle Spektrum der Möglichkeiten von Erscheinungsweisen der Zeit – jedes Seiende hat seine ihm „ureigene Zeit“ (148). Spezifisch für die erlebte Zeit ist ihre enge Verflochtenheit mit der Erfahrung eines „Ich“: Sie erzeugt stets nicht-anonyme „Weisen der Horizonteröffnung, die zuallererst für uns selbst die Welt offenbar zu machen gestatten“. Des Weiteren zeichnet sie sich durch „radikale Reflexionslosigkeit“ (148) aus. Die gestiftete Zeit hingegen zielt auf Einheitlichkeit, auf einen Maßstab, der zur „Zeitmessung“ dienen kann. Dabei kommt es zu einem „Gegensatz zwischen der Vielfalt der Zeiten […] und der Einheit der gestifteten Zeit“ (149), sowie zu einer Aporie der Reflexion: Innerhalb der gestifteten Zeit wird ein absoluter Zeitrahmen vorausgesetzt, der „präempirisch und präreflexiv“ ist; die Einheitlichkeit ist aber ein Produkt der Reflexion. Die Reflexion ist demnach nicht das geeignete Mittel, „um die Konstitution der Zeit und des Zeitbewusstseins verständlich zu machen und zu rechtfertigen“ (149). Wie ist es also möglich, dem „Zeitcharakter der erlebten Zeit einerseits und der gestifteten Zeit andererseits phänomenologisch-konstruktiv […] auf die Spur zu kommen“ (150)?  Dargelegt werden muss, wie die Vermittlung von „Protentionalität“ und „Retentionalität“ zu plausibilisieren ist, ohne das Schema Auffassung/Auffassungsinhalt auf eine „rein hyletische Urimpression“ anzuwenden. Hier kommt eine dritte Art der Zeitlichkeit zum Tragen, die „präimmanente Zeit“. Diese stellt sich dar als ein die immanenten Zeitlichkeiten konstituierendes Phasenkontinuum, der „Urprozess“. Jede Phase dieses Kontinuums ist ein „»retentionales« und »protentionales« Ganzes“ (151), und besteht aus einem „Kern“ – auch als „Urphase“ bezeichnet – maximaler Erfüllung, sowie aus modifizierten Kernen, deren Erfüllung proportional zur Entfernung von der Urphase nach Null hin tendiert. Dergestalt eröffnet sich ein Feld von „Kernen“, die „im Ablauf ihrer Erfüllungen und Entleerungen eben die präimmanente Zeitlichkeit ausmachen“ (152), und als „Substrate“ der Noesis die Intentionalität strukturell konstituieren. Das „Selbsterscheinen“ (153) dieses Urprozesses am Schnittpunkt der jeweils diskreten „Kerne“ ermöglicht ineins die ursprüngliche Gegenwart des präreflexiven Selbstbewusstseins wie auch jede gestiftete und erlebte Zeit.

Die räumlichen Aspekte der generativen Phänomenologie sind Gegenstand des siebten Kapitels. Ziel ist es, die Konstitution der Räumlichkeit und des Räumlichkeitsbewusstseins zu erhellen. Grundlegende Beiträge liefern Husserl mit der Darstellung der Relevanz von „Leiblichkeit“ und „Einbildungskraft“ bei der Konstitution des Raumes, sowie Heidegger durch die Vorarbeiten zum Begriff einer Endo-Exogenisierung des phänomenologischen Feldes. Maßgeblich für den Ansatz der „Wirklichkeitsbilder“ sind jedoch die Analysen, die Marc Richir hinsichtlich der räumlichen Aspekte der Sinnbildung vorgelegt hat. Leitend sind dabei zwei Fragestellungen: Was ist die leibliche Dimension der Sinnbildung? Was sichert und ermöglicht den Bezug auf eine Äußerlichkeit, die es vermeidet, diese Sinnbildung durch ihre Immanentisierung in eine Tautologie verfallen zu lassen? An diese Perspektive anschließend sucht Schnell „Räumlichkeit“ als eine „grundlegende Dimension des Sinnbildungsprozesses“ (171) in den Blick zu bekommen. Hierzu wird eine dreifache Differenz angesetzt: Die räumliche Bestimmtheit der „scheinbaren Exogenität“ in natürlicher Einstellung – also die Erfahrung einer „Äußerlichkeit“, die als „präexistent“ oder „prästabilisiert“ angesehen wird –, verwischt die Notwendigkeit, diesseits der Unterscheidung von „Innen“ und „Außen“ ein diese Unterscheidung erst ermöglichendes „Vermittlungsverhältnis von Endogenität und Exogenität des phänomenologischen Feldes“ (172) zu konzipieren. Die „räumliche Dimension der Hypostase“ thematisiert den Umstand, dass trotz der Zusammengehörigkeit von Räumlichkeit und Zeitlichkeit als „Raumzeitlichkeit“ – der „Grundform der Phänomenalisierung“ (173) –, spezifische Unterschiede zwischen räumlichen und zeitlichen Bestimmungen bestehen. Während die Zeit grundlegend durch ein Fließen charakterisiert ist, erscheint der Raum hingegen „fix, stabil, unwandelbar“. „Hypostase“ als „transzendentaler Ausdruck“ dieser Stabilität ist qua phänomenologischer Konstruktion zweiter Gattung als produktive Vernichtung der Bewegung zu fassen, dahingehend, „dass hierdurch sowohl die räumliche Dimension des Verstehens als auch das, worin das Verstehen sich entfaltet, gedacht zu werden vermag“ (174). Als dritte räumliche Bestimmtheit werden die „räumlichen Implikationen der transzendierenden Reflexibilität“ entfaltet. Während die „transzendentale Reflexibilität“ als die Eigenschaft der Sinnbildung ausgemacht wurde, welche die „innerlichen Notwendigkeiten“ des phänomenalen Feldes aufdeckt, kommt es hier darauf an, die „transzendierende Reflexibilität“ als die Eigenschaft der Sinnbildung zu begreifen, welche die „äußerlichen Notwendigkeiten“ des phänomenalen Feldes zu erschließen gestattet. Ausschlaggebend ist dabei, dass diese nicht lediglich auf etwas Vorgängiges reflektiert, sondern „das Sich-erscheinen des (Sich-)reflektierens erfasst wird“. Ermöglicht ist dies durch eine „Identifikation zwischen dem Abstand von Alterität und Äußerlichkeit“ (175), sowie ein dem Sinnbildungs-Schematismus innewohnender Abstand zu sich selbst; beide Aspekte fungieren als basaler Bezugsrahmen jeder weiteren räumlichen Bestimmbarkeit.

Das achte Kapitel wendet sich der Konzeption einer neuen phänomenologischen Anthropologie zu, in deren Zentrum der Begriff des „homo imaginans“ steht. Bei der generativen Konturierung des Humanum steht nicht das Verhältnis von Anthropologie und Phänomenologie im Mittelpunkt, sondern diejenigen Bestimmungen, welches es ermöglichen, den „Status des Menschen diesseits der Unterscheidung von Erkenntnistheorie und Ontologie“ (187) offen zu legen. Jeder Bestimmung gehen genetisch-imaginative Prozesse voraus, welche die Intelligibilität einer möglichen Bestimmung erst gewährleisten. Um einer „vorausgesetzten Welt“ anzugehören, muss der Mensch immer schon dreifach „bildend“ tätig gewesen sein: qua Vorstellung, qua Reflexion, und qua Einbildung. Die „Vorstellung“ ist das Phänomen, „durch das wir uns ursprünglich auf die Welt beziehen“ (188). Sie lässt erscheinen, nach Maßgabe implizierter Verständnisse von „Welt“ und „Selbst“. In der „Reflexion“ wird das Bild als Bild thematisch, gerät in einen Abstand zu sich: Die Welt geht in ihrem Bild nicht auf. In der Vernichtung der „Kompaktheit und Geschlossenheit“ (191) des ersten Bildes wird das ihm implizite „Selbst“ als entwerfendes explizit; die im ersten Bild prätendierte Stabilität der Welt wird in eine irreduzible Abständigkeit von Bild und Welt transponiert, die selbstverständliche Unmittelbarkeit des Bildes wandelt sich in das reflexive Bewusstsein, durch ein Selbst geleistet worden zu sein – an die Stelle eines Bildes der Welt tritt ein Bild des Selbst. Der spezifisch menschliche – nicht mechanische! – Charakter der Reflexion wird aber erst mit der „Einbildung“ erfasst: Jedes Bewusstsein von etwas ist nicht nur „vorstellendes“ und „reflexives“ Bewusstsein, sondern auch „reflexibles“ Bewusstsein. Das, was es möglich macht, verdoppelt sich in „das, was das Möglich-Machen selbst möglich macht“ (192) – die „bedingende“ Möglichkeit erscheint selbst in ihrem Vermögen, das, was möglich macht, ihrerseits möglich zu machen. Anders formuliert: Das Sein-Können der Bild-Bildung erscheint in den zu diesem Können notwendigen Bedingungen. In der Reflexion auf die Reflexion der Vorstellung realisiert sich die transzendentale Struktur des Bewusstseins als die Ermöglichung ihrer selbst – diese „ist“ nur, insofern sie sich „bildet“. Nachdem die generative Verfahrensweise ihre Rechtmäßigkeit durch die Wohlgegründetheit – ohne „negativen“ Zirkel – ihrer Möglichkeit erwiesen hat, kommt als ihr Korrelat nur das Reale selbst in Frage. Die ontologischen Implikationen dieses Realen sind eben jene Bedingungen, die zur Realisierung des „ermöglichenden Vermögens“ (193) zu veranschlagen sind. Der Mensch ist „homo imaginans“ bedeutet dann: Jedes Bewusstsein, das sich als Einheit der Differenz von Selbstentwurf, Reflexivität und Reflexibilität selbst erscheint, ist humanes Bewusstsein.

Das letzte Kapitel dient einer Synopse der Grundlegung eines spekulativen Transzendentalismus in der Gestalt einer generativen Phänomenologie. Schnell hebt als Leitmotiv die „Endoexogenisierung des phänomenalen Feldes“ als neue, „auf die Transzendenz hinausweisende“ Dimension der Subjektivität hervor, die „den konstitutiven Vorrang der Einbildungskraft“ (195) als „Matrize der Subjektivität“ (198) sichtbar werden lässt. Die Pointe ist dabei, dass „die Transzendenz nicht bloß das »formale Andere« des konstitutiven Vermögens“ der Subjektivität ist, sondern diese „gleichsam selbst konstituiert“ (198). Vier Spielarten der Transzendenz bilden dabei den Möglichkeitsraum der Phänomenalisierung des Subjekts im Prozess der Sinnbildung: „Prinzip oder absolutes Ich“, „Welt“, „Radikale Alterität“, „Absolute Transzendenz“. Durch die Aufweisung eines „phänomenalisierenden“ Moments, eines „plastischen-vernichtenden und zugleich hypostatischen“ – und dank dieses Zusammenwirkens „reflexiven“ – Moments, sowie eines „reflexiblen“ Moments bekundet sich die Einbildungskraft als „ursprünglich bildendes Vermögen“ in phänomenologischen Konstruktionen, wobei keine epistemische oder ontologische Priorität eines dieser Momente festzustellen ist. Die qua phänomenologischer Konstruktion anvisierten „transzendentalen Erfahrungen“ konkretisieren sich in Auseinandersetzung mit jeweiligen „phänomenalen Gehalten“. Sie „gelingen“ als „Fundierung ohne Fundament“ (209), wenn die Genesis der Faktualität vollzogen werden kann, und die „Möglichkeit der Notwendigkeit“ am Zu-Genetisierenden verständlich wird.

Liest man die „Wirklichkeitsbilder“ im Kontext seiner bisherigen – mehrheitlich französischsprachigen – Forschungen, wird einsichtig, auf welchem Reflexionsniveau Schnell den transzendentalen Problemhorizont entwickelt. Verglichen mit dem Stand aktueller Literatur zum Thema ist der hier zum Einsatz kommende Begriff des Transzendentalen in seiner systematischen Prägnanz und historischen Tiefe beispiellos: Die von Kant angestrebte Erkenntnislegitimation wird unternommen, der spekulativ-imaginative Ansatz Fichtes in die Auseinandersetzung mit konkreten phänomenalen Gehalten gebracht, der von Schelling beschriebene Prozess der Selbst-Objektivierung der Natur in seinen architektonischen Implikationen als wechselseitiges Bedingungsverhältnis entfaltet, Husserls Überforderung der Anschauung in transzendentaler Perspektive mithilfe neu entwickelter Kriterien phänomenologischer Ausweisbarkeit zur Disposition gestellt, und schließlich Heideggers Figur der „Ermöglichung“ ausgestaltet. Die transzendentalphilosophische Gretchen-Frage, wie das Apriori selbst begründet werden kann, ist pointiert entwickelt und aufschlussreich beantwortet; die generative Plausibilisierung der Möglichkeit, wie durch apriorische Denkformen das Seiende in seiner Realität erfasst werden kann, ist erstrangig unter den bisherigen Versuchen der phänomenologisch-transzendentalen Tradition. Gerade für Skeptiker eines transzendentalen Philosophie-Stils wird es überraschend ein, dass der Begriff der Realität letztlich nur „gewinnt“: Keine einzige empirisch-inhaltliche Bestimmung des Realen wird in ihrer Gültigkeit desavouiert, sondern lediglich in einen Bezugsrahmen transponiert, der die Möglichkeit ihrer Wohlgegründetheit verständlich macht. Der vor allem gegen Fichte oft vorgebrachte Einwand, weshalb der Realismus erst auf einer „Meta-Stufe“ einsetzen sollte, verliert durch die Herausstellung der Einheit des transzendentalen und ontologischen Status des in der präimmanenten Sphäre Eröffneten an Wucht. Diese Einheit ist dabei keine De-Realisierung „objektiver“ Sachhaltigkeit, sondern eröffnet die Möglichkeit, eine Zusammengehörigkeit von Realitätsbestimmung und Erkenntnislegitimation so zu denken, dass einsehbar wird, wie Aussagen überhaupt Gegenstände „treffen“ können. So verwandelt sich der „Korrelationismus“ am Leitfaden seiner „Endo-Exogenisierung“ in eine philosophische Position mit einer Leistungsfähigkeit, sowohl der „Immanenz“ als auch der „Transzendenz“ Rechnung zu tragen, die ihm in diesem Ausmaß wohl selbst von seinen Verfechtern kaum mehr zugetraut wurde. Es bleibt abzuwarten, ob sich Realismen, die eine robuste Schlichtheit und Selbstverständlichkeit des Sich-Beziehen-Könnens auf Reales als besonders „realistisch“ inszenieren, sich der in der generativen Phänomenologie erschlossenen Komplexität des Zustandekommens eines nicht-trivialen, sachhaltig bestimmbaren Realitäts-Begriffs stellen. Geschieht dies nicht, befänden wir uns in einer für jeden „Realismus“ wenig schmeichelhaften ideengeschichtlichen Lage, in der ein phänomenologisch fundierter, aber nichtsdestotrotz spekulativer Transzendentalismus zum begrifflichen Kern seiner ureigenen Ambition wesentlich mehr beizutragen hätte als er selbst.

Auch das phänomenologische Pensum der „Wirklichkeitsbilder“ ist beachtlich. Schnell beherrscht die klassische Phänomenologie (Husserl, Heidegger, Fink) ebenso differenziert wie die französische Phänomenologie (vor allem Levinas und Richir). Besonders hervorzuheben ist dabei sein elaborierter Umgang mit zentralen Aspekten des Werks des hierzulande noch kaum erschlossenen belgischen Phänomenologen Marc Richir, dem der so zentrale Begriff eines Sich-bildenden-Sinns (sens se faisant) entlehnt ist. Und unabhängig davon, ob die konkrete methodische Verfahrensweise der phänomenologischen Konstruktion anerkannt und praktiziert wird, ist die Trias der Tatsachen, welche die generative Phänomenologie ausweist, unter allen Umständen ein bleibender Ertrag: An der Unterscheidung zwischen „Urtatsachen“ als Thema phänomenologischer Metaphysik, „Gegebenheits-Tatsachen“ plus präreflexiver Implikationen als Thema deskriptiver Phänomenologie und „präintentionalen Tatsachen“ als Thema konstruktiver Phänomenologie dürfte für jede zukünftige Phänomenologie kein Weg vorbei führen. Besonders verdient macht sich die generative Phänomenologie zudem um den Begriff der Intentionalität: Dieser droht zu Beginn des 21. Jahrhunderts zunehmend zu einem metaphysischen Ausgangspunkt der philosophischen Theorie-Bildung zu gerinnen, dessen weiterer Erklärung es nicht mehr bedarf. Ein avancierter Bild-Begriff scheint dabei eine viel versprechende Herangehensweise, das Projekt einer „systematischen Enthüllung der konstituierenden Intentionalität selbst“ (Hua I, 164) als unabdingbare Aufgabe des Phänomenologisierens weiterhin ernst zu nehmen. In den „Wirklichkeitsbildern“ zeichnet sich ab, dass er durchaus über das nötige Potenzial verfügt, das oft übergangene, aber grundlegende Problem der Motivation und Begründetheit der „Leerintentionalität“ als pronominalem Bezug auf ein ens intentum tantum – ein „Alles“ ohne definierte Grenze – neu und äußerst erhellend aufzuwerfen. Hier könnte die generative Phänomenologie wichtige Fragen klären, die auch in der Sinnfeldontologie von Markus Gabriel aufkommen – Fragen, die allesamt um das Sein des Sinns kreisen –, dort aber bisher einer überzeugenden Lösung harren.

Wie es seitens des Phänomenologinnen allerdings aufgenommen werden wird, dass Schnell nicht das Transzendentale zugunsten des „Prinzips aller Prinzipien“ kippt, sondern umgekehrt dem „Prinzip aller Prinzipien“ zugunsten des Transzendentalen als methodologischer Grundlage eine dezidierte Absage erteilt, bleibt abzuwarten. Hier bedarf es wahrscheinlich noch weiterer Klärungs- und Darstellungsarbeit, um die spezifische Intuitivität der phänomenologischen Konstruktionen auch für SkeptikerInnen der Möglichkeit einer Imaginations-basierten „Fundierung ohne Fundament“ zu erschließen. Denn auch die „Wirklichkeitsbilder“ sind kraft ihres methodischen Anspruchs von dem mitunter quasi-weltanschaulich geführten Disput betroffen, ob es eine genuine phänomenologische Methodologie überhaupt gibt. Jedoch ist das Reflexionsniveau und das Rezeptionsspektrum der generativen Phänomenologie wesentlich höher zu veranschlagen als das von populären Bestreitungen der Möglichkeit phänomenologischer Methodologie, wie sie beispielsweise Tom Sparrow mit „The End of Phenomenology“ vorgelegt hat. In diesem Text werden weder die systematischen Verbindungslinien zwischen Phänomenologie und Transzendentalphilosophie noch die neuesten Entwicklungen der phänomenologischen Theorie-Bildung berücksichtigt, was die Ergebnisse entweder zur Glaubensfrage oder obsolet macht – eine Alternative, die doch gerade der Phänomenologie vorgeworfen wird. Die Herausforderung bleibt dennoch bestehen: Jede Phänomenologie, so binnendifferenziert sie auch sein mag, muss sich zusätzlich an der Möglichkeit messen lassen, ob sie über den Kreis derer, die sich schon für sie als Philosophie-Stil der Wahl entschieden haben, auf eine Weise rezipierbar ist, die ihr ein nachhaltiges Sich-Einschreiben in einen globalen Austausch des Philosophierens erlaubt. Dies kann und muss sie einerseits durch die Sachhaltigkeit ihrer Darstellungen, aber auch durch die Ernstnahme der zeitgenössischen hermeneutischen Situation leisten, die nach wie vor durch naturalistische und wieder durch metaphysische Grund-Orientierungen geprägt ist. Für einen Text mit methodologischem Anspruch wie die „Wirklichkeitsbilder“ könnte dies beispielsweise bedeuten, den Begriff der phänomenologischen Konstruktion und den Begriff der Abduktion als methodische Optionen mit jeweiligen epistemologischen und ontologischen Implikationen explizit zueinander in Beziehung zu setzen, um Ausgangspunkte für Diskussionen zu erzeugen, die Stil-unabhängig geführt werden können.

Abschließend bleibt zu erwähnen, dass sich der vorliegende Ansatz als äußerst wertvoll zur Re-Vitalisierung einer phänomenologischen Psychopathologie erweisen könnten. Einiges deutet darauf hin, dass die sich dort artikulierenden Blockierungen des Selbst- und Welt-Vollzugs stärker als bisher herausgestellt imaginativer Natur sind. In vielen pathologisch relevanten Fällen ist eine „Monotonie des Bildbildungsschemas“ (Blankenburg) auffällig, die bisher nicht systematisch als spezifische Modifikationen der Einbildungskraft identifizierbar werden, welche in einer ko-generativen Beziehung zum leichter ausweisbaren, veränderten Reflexions- und Affekt-Erleben stehen. Hier drängt sich die Frage auf, ob nicht „diesseits“ aller gängigen Unterscheidungen – Verstand / Gefühl / Leib / Gemeinschaft / Welt – bisher nicht explizit thematisierbare Weisen der Wieder-Intensivierung der imaginativen Ressourcen in den Blick kommen könnten. Dies wäre jedenfalls ab dem Moment möglich und sinnvoll, in dem die imaginäre Konstitution der Wirklichkeit auf grundbegrifflicher Ebene hinreichend plausibilisiert und ausgearbeitet wäre – hierzu sind die „Wirklichkeitsbilder“ ein gewaltiger und verdienstvoller Schritt.

Harald Seubert (Hg.): Neunzig Jahre ›Sein und Zeit‹: Die fundamentalontologische Frage nach dem Sinn von Sein, Alber, 2019

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Harald Seubert (Hg.)
Karl Alber Verlag
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Michael L. Morgan (Ed.): The Oxford Handbook of Levinas, Oxford University Press, 2019

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Michael L. Morgan (Ed.)
Oxford University Press
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