Rastko JOVANOV
http://reviews.ophen.org/2016/07/08/christian-krijnen-idea-organization/
Critical Studies in German Idealism, Volume 16
Brill
2015
Hardback 104.00 €
x, 225
Reviewed by: Ana Miljević (Faculty of Philosophy, University of Novi Sad) and Rastko Jovanov (Bogazici University)
In der gesamten Philosophie des Deutschen Idealismus wurde der soziale Kontext menschlichen Lebens, der allgemein als ein teleologischer verstanden wird, als ein System der Freiheit und der Tat entwickelt. Das Primat der praktischen Vernunft über die theoretische wurde in Kants Rechts- und politischer Philosophie durch das Problem der Freiheit reflektiert. Obwohl eine eigenständige Gesellschaftstheorie von Kant nicht entwickelt wurde, können wir im Kontext der Freiheitsmöglichkeit sagen, dass er unter Gesellschaft eine Mehrzahl von gleich freien Individuen verstand, die unter öffentlichen Gesetzen vereinigt sind und deren Einhaltung die erfolgreiche Verfolgung eigener Zwecke ermöglicht. In der Kantischen Philosophie waren jedoch Bewusstsein und Objektivität, praktisch und theoretisch, Sinnliches und Übersinnliches wesentlich voneinander getrennt. Erst Hegel gelang es die Kantische Dualität durch die systematische Verbindung von Bewusstsein und Wirklichkeit in der dialektischen Bewegung des Geistes aufzuheben. Zudem ist die Sphäre und „Recht“ des Sozialen in Hegels Grundlinien der Philosophie des Rechts voll anerkannt: Hegel führt den Begriff der bürgerlichen Gesellschaft in seinem System der Philosophie ein und zugleich eröffnet die sozialphilosophischen Fragen, die heute noch aktuell sind: das Verhältnis zwischen dem Individuum, der Gesellschaft und dem Staate, die Anerkennung der persönlichen Freiheiten des Individuums, die Rolle der Korporationen und gesellschaftlichen Organisationen in der intersubjektiven Sphäre menschliches Lebens usw. Das vorliegende Buch von Christian Krijnen – The Very Idea of Organization. Social Ontology Today: Kantian and Hegelian Reconsiderations – beschäftigt sich gerade mit der verborgenen Aktualität der Philosophie des Deutschen Idealismus hinsichtlich des sozialontologischen Problems: Was sind gesellschaftliche Organisationen und was stellen sie dar?
Obwohl die Organisation nicht das Hauptthema der klassischen deutschen Philosophie war, ist dieses Buch auf der Suche nach den philosophischen Annahmen der Organisationstheorie, die Eigenes in der Sozialontologie liegen, in Bezug auf das Phänomen der Organisation, sowohl in der Transzendentalphilosophie, als auch im Idealismus Hegels. Infolgedessen wurde das Phänomen der Organisation als ein Erzeugnis der Freiheit angesehen. Auf der Spur von Hegels Philosophie des Geistes bemerkt der Autor großartig, dass die Organisation nicht nur ein Begriff der Sozialtheorien, sondern ein konstitutives Phänomen der Gesellschaft im Allgemein ist. Der Beleg für dieses Konzept liegt in Hegels Worten: „Der Geist hat das Prinzip der bestimmten Stufe seines Selbstbewusstseins, die er erreicht hat, jedesmal in den ganzen Reichtum seiner Vielseitigkeit ausgearbeitet und ausgebreitet. Dieser reiche Geist eines Volkes ist eine Organisation – ein Dom, der Gewölbe, Gänge, Säulenreihen, Hallen, vielfache Abteilungen hat, welches alles aus einem Ganzen, einem Zwecke hervorgegangen.“ (Hegel, Vorlesungen über die Geschichte der Philosophie, Erster Teil, Berliner Ausgabe, 2013, S.52.)
Deshalb beschäftigt sich das vorliegende Buch The Very Idea of Organization mit dem philosophischen Hintergrund des Phänomens der Organisation, um die vorliegenden Konzepte systematisch zu erfassen und ein neues Paradigma der Sozialwirklichkeit zu definieren. Die Grundthese des Buches wurde durch Forschungskontroversen über sozialontologische Begriffe und Themen aufgestellt und auf folgende Weise definiert: Die Philosophie des Deutschen Idealismus bietet wesentliche Anschlussmöglichkeiten für die heutige Sozialontologie, mit Hilfe derer sich die Organisationstheorie entwickeln kann („It is my thesis that this philosophy [i.e. German idealism] offers substantial possibilities for developing a present-day social and organizational ontology. Until now, these possibilities have remained underestimated and insufficiently explored. This is partly due to the fact that social and organizational ontology […] are not a core topic in German idealist philosophy. As a consequence, German idealist philosophy needs to be rejuvenated“, S.1) Diese wichtige Verbindung zwischen der Philosophie des Deutschen Idealismus und der Organisationstheorie eröffnet sowohl neue Interpretationsfragen an die klassische deutsche Philosophie, als auch hohe Anforderungen an die gegenwärtige Sozialphilosophie.
Im allgemeinen wurde, bis zur Erscheinung von The Very Idea of Organisation, diese These in der Forschungsliteratur nie ausreichend erforscht. Deshalb war innerhalb der dominanten Paradigmen der Sozialontologie keine überzeugende Organisationsontologie in Sicht. Wenn nämlich die Organisationen im gegenwärtigen Sinn Sozialphänomene der modernen Gesellschaft sind, die so viele Arten haben, dass man sagen könnte, dass jede moderne Gesellschaft auf einer Organisationsstruktur beruht, muss, so meint der Autor, ein neues Meta-Paradigma eingeführt werden, um eine umfassende und grundlegende Sozialontologie im Allgemeinen, sowie eine Ontologie der Organisation im Konkreten anbieten zu können. Aber wenn die Sozialontologie und insbesondere die Organisationsontologie nicht das Hauptthema der deutschen idealistischen Philosophie war, muss auch die deutsche idealistische Philosophie verjüngt werden, laut des Autoren (S. 35, 39). Durch den Dialog mit den Klassikern – einer Diskussion zwischen Kantischer Transzendentalphilosophie und dem Hegelschen Idealismus in Bezug auf die Grundlagen der sozialen Wirklichkeit (wie sie vor allem im Neukantianismus und in der modernen Transzendentalphilosophie Gestalt angenommen hat) – soll ein philosophischer Grund für die Sozialphilosophie gelegt werden. Und gerade im Hegelschen Begriff der Sittlichkeit sieht Christian Krijnen den Grund für ein neues Konzept der Sozialontologie, deren Kernthema die Organisationstheorie ist.
Das vorliegende Buch von Christian Krijnen sollte nicht nur einem philosophisch vorgebildeten Leser dienen, der ein fachliches Interesse an der Sozialontologie hat, sondern auch Theoretikern der Organisationstheorie eine Grundlage für ihre Forschung bieten. Durch die Prüfung und Erweiterung der Grundbegriffe der Organisationstheorie wird der Horizont außerphilosophischer Forschrung erweitert. Deshalb ist das Buch auch eine gute Lektüre für Soziologen, die sich mit dem Problem der Organisation in der modernen Gesellschaft beschäftigen.
Die Methodologie zeigt in ihrem Problemzugang einen historischen Ansatz und ergiebige phänomenologische Beobachtungen. Der Autor bringt uns durch eine methodisch korrekte und reiche komparative Analyse auf eine neue Lesart der idealistischen Philosophie Hegels und der kantischen Transzendentalphilosophie um einen phänomenologischen Begriff der Organisation aufzubauen. Aber die Intention des Autors war nicht nur den Organisationsbegriff zu determinieren, seine Gültigkeit herauszufinden, sondern auch ein phänomenologisches Konzept der Organisation zu skizzieren. Die historische Übersicht über frühere Organisationstheorien war eine notwendige Einleitung, die uns von der Organisationstheorie zur Organisationsontologie führt.
Das Buch besteht aus sechs Kapiteln, in denen der Autor seine Studie über den Organisationsbegriff des Deutschen Idealismus systematisch untersucht und für die gegenwärtige Sozialontologie fruchtbar macht. Der Autor zeigt, dass die verschiedenen ontologischen Einstellungen uns zu den verschiedenen Methoden und daher zu verschiedenen Folgen von erläuternden Konzepten bringen. Je nach den ontologischen Voraussetzungen des Forschers hat der Organisationsbegriff eine grundsätzlich andere Bestimmung. Wie durch die Analyse des Autors bestimmt, überlegt die ontologische Studie der Organisation, ob die Realität der Organisationen abhängig oder unabhängig von unseren Gedanken ist. Dies führt uns zu der Dualität der verschiedenen Ebenen, die in der klassischen deutschen Philosophie überwältigt werden kann. Das Allgemeine und das Besondere, Gedanke und Realität, Bewusstsein (Subjekt) und Objektivität etc. liegen dem Unterschied zwischen „being ontologically“ und „becoming ontologically, d. h. zwischen der objektiven (Organisation als “stable, static entity with enduring properties and tendencies, and in this sense as objective and structured“ [S. 18]) und der subjektiven (Organisation als „an entity that is continually (re)constructed by the participants, and therefore as a temporarily stabilized cluster loosely held together by relational networks of meaning“ [S. 18]) Ontologie zu Grunde. Deshalb erscheint die Dualität in den Organisationstheorien nicht nur als ein ontologisches, sondern auch als ein epistemologisches Problem.
Die Antwort auf die Frage nach der Ontologie der Organisationen wird gegenwärtig, laut Krijnen, durch die Herrschaft dreier Metaperspektiven (d. i. Metaparadigmen) bestimmt: Positivismus, Sozialkonstruktivismus und Kritischer Realismus. Trotz aller Bemühungen und Anstrengungen bieten die drei genannte Metaparadigmen keinen festen Grund für die Ontologie der Organisation und ohne eine Sozialontologie im Allgemeinen sowie eine Organisationsontologie im Besonderen können die grundlegenden ontologischen Begriffe für die verschiedenen Organisationstheorien nicht erfolgreich herausgefunden werden. Krijnen unterscheidet deshalb die drei Metaparadigmen auf folgende Weise: „Positivists advocate—to use the terms customarily employed in the discourse—an objective epistemology and an objective ontology, social constructionists a subjective epistemology and a subjective ontology, critical realists a subjective epistemology and an objective ontology.“ (S. 20) Für die Theoretiker des Positivismus existiert das Phänomen der Organisation an-sich als die ‚objektive‘ Realität, die unabhänging von unserer Kognition ist. Hingegen meinen die Theoretiker des Sozialkonstruktivismus, dass die sozialen Phänomene von der menschlichen Praxis abhängen, sodass das Phänomen der Organisation nicht ein objektives Faktum ist, sondern eine soziale Konstruktion. In den letzten zwanzig Jahren hat der Kritische Realismus versucht, die beiden entgegengesetzten Seiten in der Debatte mit einer Mischung aus subjektiver Epistemologie und objektiver Ontologie zu versöhnen. Obwohl der Kritische Realismus richtig zeigt, dass sowohl Positivismus, als auch Sozialkonstruktivismus nicht in der Lage sind, eine grundlegende Ontologie der Organisationstheorien zu bieten, ist seine eigene Ontologie, laut Krijnen, zu eng gedacht und keine adäquate Antwort auf die Frage „Was ist die Organisation?“
Deswegen kehrt Krijnen zum Deutschen Idealismus zurück, um eine Philosophie der Organisation grundzulegen. Die Organisation („a system of consciously coordinated activities of persons to achieve one or more purposes“, S. 2) wird sich ihm dadurch als das wichtigste Teil der Verwirklichung der menschlichen Freiheit (S. 200) zeigen. Mit dieser Verbindung von gesellschaftlichen Organisationen und menschlicher Freiheit steht Christian Krijnen auf der zentralen Spur des Deutschen Idealismus und bietet zugleich nicht nur der gegenwärtigen Forschung in der Sozialontologie und Sozialphilosophie eine fruchtbare Anregung, sondern eröffnet neue Horizonte für die aktualisierte Forschung der klassischen deutschen Philosophie.