Eveline Cioflec
Alber Philosophie
Karl Alber Verlag
2019
Hardback 34,00 €
232
Reviewed by: Eveline Cioflec (Eberhard-Karls-Universität Tübingen)
Die im Alber Verlag erschienene Aufsatzsammlung kann als eine thematische Einführung zu Finks Auffassungen zu Welt und Physis gelesen werden. Unvermerkt umspannen die Beiträge das Gesamtwerk Finks und bieten dennoch einen einheitlichen Einblick. Die Spanne Welt – Physis zieht sich durch sämtliche Beiträge hindurch und wirft unvermittelt die Frage der Stellung des Menschen auf oder, wie es im Titel des Bandes treffend festgehalten ist, die Frage nach dem Wohnen des Menschen. Der Band ist der dritte in einer Reihe von Forschungen die die seit 2006 im Alber Verlag erscheinende Gesamtausgabe begleiten. Der erste ist der Pädagogik im Werk Finks gewidmet, Bildung im technischen Zeitalter (hg. v. A. Hilt und C. Nielsen 2005), und der zweite Welt denken (hg. v. C. Nielsen und R. Sepp 2011) greift die Thematik der Kosmologie auf. Dieser dritte Band untersucht, so Nielsen und Sepp im kurzen, jedoch Ein- und Überblick bietenden Vorwort, „wie die thematischen Facetten, die Finks Werk strukturieren, in seiner Kosmologie verankert sind.“ (Vorwort, 11) Er versammelt hauptsächlich Beiträge des Kolloquiums mit dem Titel „Erde – Wohnen – Natur. Eugen Fink über die physis des Menschen als ens cosmologicum“, das in Prag im November 2015 stattgefunden hat.
Der erste Teil des Titels des Bandes, „ Wohnen als Weltverhältnis“, sollte nicht die Erwartung mit sich bringen, dass das Thema in jedem Beitrag unmittelbar und explizit vorzufinden wäre: eher ist der zweite Teil des Titels ausschlaggebend „Eugen Fink über den Menschen und die Physis“ – dieses kann als gemeinsamer Nenner der einzelnen Beiträge gesehen werden. Dass Welt sich aus dem Verhältnis zur Physis ergibt, oder diese quasi zur Grundlage hat, ergibt allerdings das Spezifische des finkschen Wohnens: eben nicht ganz in der Welt, sondern nur im Verhältnis zur Welt, das aber zugleich einen Bezug zum Dunklen der Erde voraussetzt. Kurz zusammengefasst heißt es im Vorwort „Solches Wohnen weist eine kosmische Struktur auf, die Fink kosmologisch als Weltverhältnis bestimmt und hierfür auf einen Begriff des frühgriechischen Denkens, auf den der phýsis, zurückgreift, die als kósmos das »Seiende im Ganzen« benenne (vgl. Fink, E., 1992, Natur, Freiheit, Welt. Philosophie der Erziehung, hg. v. F.-A. Schwarz, Würzburg, 64). Im Ausgang von diesem auf die Physis hin gedachten Begriff des Wohnens lässt sich zeigen, wie Fink das tradierte Verhältnis von Natur und Geschichte bzw. Natur und Freiheit kosmologisch reformuliert.“ (11)
Mit Fink von der „Physis“ und nicht von „Natur“ zu sprechen, hebt die Unzugänglichkeit der Natur, eines Grundes, auf die als solche dennoch Bezug genommen wird, hervor: Die das Wohnen im Weltverhältnis konstituierende Verborgenheit der Natur oder eben die Physis. Verborgenheit und Unverborgenheit scheinen dabei keine Dichotomie zu ergeben, bei der von einerseits und andererseits die Rede sein könnte, sondern weisen vielmehr eine gegenseitige Durchdrungenheit auf, bei der in der Unverborgenheit zugleich das Dunkle mitenthalten ist. Untrennbar verwoben ist der Bezug zur Natur als Weltverhältnis zu verstehen, zu deuten. Ist Welt das Unverborgene, so bleibt darin immer auch die Verborgenheit bestehen. Natur ist letztlich dasjenige worin der Mensch wohnt und sich dieses Wohnen als Welt einrichtet, wobei das Wohnen keine Herrschaft über die Natur ausübt, sondern vielmehr dieser einverleibt bleibt.
Im beschreibenden Kurztext zum Band wird die Welt der Freiheit gleichgesetzt und diese zugleich auf die Natur rückbezogen. Somit wird verdeutlicht, dass im Freiheit zulassenden Bezug zur Natur der Mensch eine Welt entfaltet. Die Freiheit des Menschen besteht nicht trotz der Natur – was ja auch widersprüchlich wäre, da Trotz kaum Freiheit zulässt – sondern sie entspringt gerade der dunklen Seite der letzteren, die sich verbergend die Möglichkeit zulässt Welt zu entfalten.
Die Beiträge zum Band sind thematisch in drei Abschnitten gegliedert, betitelt mit Natur, Freiheit und Welt, in Anlehnung an Finks Publikationen. Als „leitender Aspekt“ wird im Vorwort das „Thematischwerden der binnenweltlichen, auf ihre Welthaftigkeit hin eröffneten existenziellen Situation des Menschen, die Fink als Wohnen, als Aufenthalt des Menschen auf der Erde, charakterisiert“, genannt. (11) Der Abschnitt zu „Natur“ ist auf dem „übergreifenden Hintergrund der kosmologischen Physis“ der finkschen Bestimmung der Natur „in uns“ und „außer uns“ gewidmet (12), wobei zwei der drei Beiträge der finkschen Auslegung der Dichtung von Cesare Pavese gewidmet sind.
Der zweite Abschnitt, „Freiheit“, umfasst ebenfalls drei Beiträge, die der Möglichkeit von Freiheit „angesichts ihres Gebundenseins an das Naturhafte“ (ebd.) nachgehen, zunächst mit Fink die Dichotomie Geist – Natur in Frage stellen, wobei der Mensch in seiner naturhaft-geschichtlichen Doppelstellung“ (Fink 1987, 59, hier 150) als „Mittler“ bestimmt wird, der die in der Spannung von Freiheit und Natur aktualisierte „Grundspannung der Welt“, die den »Ur-Riß« (Fink, 1987, Existenz und Coexistenz. Grundprobleme der menschlichen Gemeinschaft, hg. v. F.-A. Schwarz, Würzburg, 226) der Wirklichkeit darstellt, austrägt (150). Mit dem Menschen als „Mittler“ wird ein wiederkehrender Topos im finkschen Denken aufgegriffen. Dieser kennzeichnet „die Grundstellung des Menschen inmitten des Ganzen des Seienden für jegliches, was ist, ‚der seienden Dinge, dass sie sind, der nichtseienden, dass sie nicht sind‘. Maß aber ist nicht Grund, der Mensch ist nicht die Mitte der Welt, aber er ist der Mittler, die existierende Vermittlung für alles Seiende, das erst im Sein für den Menschen (also im Wahrsein) in sein wesentliches Sein kommt.“ (Hilt, A., 2018, Nachwort zu Fink, E., Existenz und Coexistenz, EGFA 16, Hg. Grätzel, S. u.a., Alber, Freiburg, 979-1024, zit. 979, s. Fink-Archiv. Notizen, 402b, Z – XXXII, ca. 1939/40 [= „Eremitie“]) Im dritten Beitrag des zweiten Abschnittes werden anhand der Rolle der Arbeit im Selbstverhalten die Grenzen der Radikalisierung des Selbstverhaltens aufgezeigt.
Der kosmologische Ansatz wird im dritten Abschnitt, „Welt“, thematisch: „Wie Selbstverhalten im Weltverhalten gründet und welche Perspektiven sich daraus für die soziale, »coexistenzielle« Situation des Menschen und ihre Gestaltung und Veränderbarkeit ergeben.“ (ebd.) Im Weiteren wird die meontische Auffassung des Verstehens, die die hermeneutische ablöst, besprochen und die aktuelle Rezeption Finks im Werk Marc Richirs und Renaud Barbaras diskutiert.
Die thematische Eingliederung der Beiträge in die drei Abschnitte gibt dem Band eine leichter fassbare Struktur. Die Beiträge bieten aufschlussreiche Einblicke in das jeweilige Thema des Abschnittes, zugleich weist jeder Beitrag auch über die thematische Eingliederung hinaus, so dass letztlich jeder Beitrag für sich stehend gelesen werden sollte.
Der erste Beitrag im Band, zum Thema Natur, von Yusuke Ikeda, mit dem Titel „Eugen Finks transzendental-phänomenologisches Weltdenken und seine Heraklit-Interpretation unter besonderer Berücksichtigung des Begriffs der Physis“ (S. 15–42), bietet eine philosophiegeschichtliche Einordnung der finkschen Auffassung und weist die Bedeutung des griechischen phýsis-Begriffs für das finksche Natur- und Weltverständnis auf. Somit ist der Beitrag sehr treffend als erster im Band aufgenommen und wirkt wie eine Verankerung der Folgebeiträge. Der Autor rekonstruiert mit Rückblick auf Husserls und Heideggers phänomenologische Ansätze die „kosmologische Phänomenologie“ Finks anhand seiner Heraklit-Interpretation. Hierbei handelt es sich um eine „Revision des Begriffs des Phänomens sowie der (transzendentalen) Phänomenologie Husserlscher und Heideggerscher Provenienz“ (15) wobei Finks Heraklit-Interpretation maßgebend ist: „Zum einen legt Fink Heraklits Physis-Begriff als Welt aus, die als Ursprungsdimension des Seins der ontologischen Differenz vorausgeht und ihr zugrunde liegt, und zum anderen betont Fink, dass schon Heraklit die Erscheinungsweise der als Welt verstandenen Physis als Entzug und Verbergung kannte.“ (ebd.)
Giovanni Jan Giubilatos Beitrag, „Vom Sinn der Erde: Eugen Finks kosmologische Auslegung der Dichtung von Cesare Pavese“ (S. 42–59) greift die Erörterung der Freiheit auf: „Aus dieser traditionellen Auslegung der Freiheit als Herrschaft des Geistes über die unvernünftige Natur folgte eine allmähliche Ent-Sittlichung des Geistlosen, des unbelebten Naturhaften (Fink 1992, 100), welche zu der klassischen und mittlerweile für uns völlig selbstverständlichen Gegenüberstellung »Natur – Kultur« geführt habe. Für mehr als zweitausend Jahre hat also die rationalistische Tradition des Abendlandes die kalte, dürre Erde – das Rezeptakel der Materialität, der Sinnlichkeit, der niedrigsten Bestimmungen des Geistes abgewertet und verlassen.“ (43) Die Aufwertung der Erde in Finks Kosmologie wird im Weiteren in einer Gegenüberstellung mit der geschichtlichen Auffassung bei Vico festgehalten: „Obgleich die Geschichte ein Factum des Menschengeistes ist – wie Gianbattista Vico behauptet –, bleibt der Mensch nach Fink wesentlich ein Schössling, der aus der Tiefe der Erde keimt.“ (47) Die Zwischenstellung des Menschen, zwischen der Freiheit des Geistes und der Geborgenheit der Erde, im „Zwischenraum von Himmel und Erde“ (49), was ihn als ens cosmologicum ausmacht, wird in diesem Beitrag verdeutlicht: „Vielmehr ist der Mensch das »zweideutige Wesen«, das sowohl der Natur als auch der Freiheit »angehört, und doch keinem Bereich ganz, das nie ganz geborgen sein kann in Demeters stillem Frieden, wie Blume oder Tier, und auch nie ganz als Freiheit existiert und sich wissend begründet«.“ (Fink 1985, 52, hier: 48) Und ferner: „Im Zwischenraum der Transzendenz des Geistes und der tellurischen Dimension der Erde wohnt ausschließlich der Mensch.“ (49)
Der dritte Beitrag des ersten Abschnitts geht wie auch der vorangehende auf Finks Lektüre von Pavese ein: „Die Chiffren des Mythos: Fink liest Cesare Pavese“ von Cathrin Nielsen (S. 60–76). Es handelt sich dabei um Finks Interpretation kurz vor seiner Emeritierung von Cesare Paveses 1947 erschienenen Gesprächen mit Leuko (Fink, 1971, »Zu Cesare Pavese Gespräche mit Leuko«, in: ders.: Epiloge zur Dichtung, Frankfurt am Main, 53–112). Wie Nielsen festhält: „Bei Pavese entdeckt Fink die Möglichkeit, das Weltmoment der »Erde« in Narrative zu fassen, die wiederum als »Existenzchiffren«, zu lesen sind, als menschlich-allzumenschliche Antworten auf das, was sich der phänomenologischen Aufweisbarkeit entzieht, ohne jedoch zu verschwinden.“ (60) Gestalten der griechischen Mythologie treten bei Pavese in Gesprächen als „dialogische Miniaturen“ (ebd.) auf und führen das menschliche Dasein „in seinem paradoxen Bezug zum Außenmenschlichen“, „zum Ansichsein der »Natur«, das es im »Fürmichsein« zu leben gilt“ (ebd.). Wie auch in Giubilatos Vortrag geht es um den Menschen als einem „Wesen des »Zwischen«“ (61): der Bezug des Menschlichen zum Außermenschlichen lässt die Mächte des Letzteren in Paveses Gesprächen zu Gestalten werden. „Die mythologischen Gestalten stellen somit Verdichtungen von Existenzbezügen dar, die nicht kanonisch sind, sondern Chiffren, die sich im Narrativ der mythischen Konstellationen, die ja selbst wandelbar waren und sind, unablässig weitererzählen.“ (61)
Nielsen greift vier „paradigmatische »Existenzfiguren«“ (mit Fink „Urerfahrungen“ genannt) auf: „1. Endymion, der im Gespräch mit einem geheimisvollen Fremdling von seinem Verlangen berichtet, aus seiner unruhevollen Vereinzelung in den Urgrund, den »Schlaf der Welt«, in dem sich alle Dinge berühren, einzugehen. 2. Ödipus im Gespräch mit dem blinden Seher Teiresias, wo es um anonyme Übermacht des Geschlechtlichen geht, 3. Orpheus, der im Dialog mit einer Mänade der Todesoffenheit und Unwiederholbarkeit des menschlichen Lebens gewahr wird, und 4. Das Gespräch zwischen Odysseus und Kalypso und dessen Weiterspinnen durch die »Hexen« Kirke und Leukothea, das die menschliche Zeiterfahrung und das Erinnern thematisiert.“ (62/63)
Die Ausführungen zu den philosophischen Deutungen Paveses laufen darauf hinaus, das Selbst als ein „letztlich in sich selbst kreisendes Kaleidoskop fragmentarischer […] Erfahrungen“ (Fink, 1971, 109) zu erkennen zu geben. (72) Das „Unbegreifliche“, die „Verfangenheit“ und „Unheimliche Verkapselung“ des Selbst in sich selbst (74), wie Fink diese hervorhebt, verdeutlicht Nielsen in ihrem Beitrag und sieht darin „den Abschied von einer die Metaphysik des Lichtes untergründig begleitenden Religiosität der Nacht“, die „radikal skeptische Destruktion der metaphysischen Voraussetzung einer das Animalische befreienden Rationalität“, die, mit Fink, „den Aufriß einer existenzialen Analytik“ erfordere (75), welche den Menschen der Natur gegenübersetzt und diese Gegenübersetzung auch wieder zurücknimmt, wobei sie die „bewußtseinsmäßige Uneinholbarkeit anerkennen müßte“ (Fink 1971, 111) (76).
Die drei folgenden unter dem Titel „Freiheit“ zusammengeführten Beiträge beleuchten sehr unterschiedliche Perspektiven der Freiheitsproblematik. Im ersten Beitrag, „Geistige Natur, natürlicher Geist: Der unmögliche Dualismus“ von Nicola Zippel (77–89), geht es im Anschluss an Fink darum, „phänomenologisch die Unmöglichkeit einzugestehen, die Stufe der Natur, des Nicht-Egologischen, von der Stufe des Geistes, des Egologischen, klar zu unterscheiden.“ (77) Im Anschluss an eine kurze Analyse des Zeitbewusstseins bei Husserl, betont Zippel den finkschen Beitrag zum phänomenologischen Zeitbewusstsein: Was Husserl festhält, dass das Ego bei der Wiedererinnerung stets von einer Motivation geleitet ist, erweitert Fink durch den Begriff der „Weltlichkeit“ der Erinnerung, das den „umgebenden Kontext solcher Motivation“ ausmacht. (83) Den Kern des Beitrags bringt Zippel selbst im „Schluss“ des Beitrags auf den Punkt: „Wenn man die Grundverschiedenheit zwischen der Natur – der Hyle als zeitlichem Vorgang des Bewusstseins – und dem Geist, d.h. der Subjektivität als verleiblichtem Ego des Bewusstseins, betrachtet, wenn man also das passive, spontane und materiale Dasein der Zeit (als Zeit-Bewussstsein) und die aktive, bewusste und geistige Entwicklung des Egos betrachtet, wird plausibel, dass eigentlich ein Dualismus nicht möglich ist.“ (88) Diese Grundverschiedenheit deutet Zippel weder als Mit-Ursprünglichkeit noch als Vorrang des Einen vor dem Anderen, sondern als „Koexistenz“, deren Beschreibung, so Zippel, allgemein der Phänomenologie „vorbehalten“ ist. (89)
Um eine ganz andere Form der Freiheit handelt es sich in Georgy Chernavins Beitrag, „Die flimmernde Natur der Doxa: Zwischen Gefangenschaft und Durchbruch der Befangenheit“ (90–101). Wie der Titel auch schon festhält, geht es um die Möglichkeit der Fragwürdigkeit in der Doxa, um die Möglichkeit zum Erstaunen, um das „Entkommen aus der Doxa“ (100). Die ausschlaggebende Frage greift Charnavin mit Fink, Husserl und Wittgenstein auf: „Weshalb versucht man überhaupt, aus seiner Befangenheit und versunkenen Situation ins Offene zu spähen, wenn man doch gar keine Offenheit kennt? Von woher taucht die »dumpfe Ahnung« des eigenen Gefangenseins auf?“ (98) Der stabilisierende Faktor der Doxa ist zugleich eine Gefangenschaft – als Verlorensein und nicht nur als „Wahlblindheit der Scheuklappenauffassung“ (ebd.) – die jedoch den Ausweg in sich trägt. „Die Doxa verhilft dazu, die innerweltlichen Erscheinungen zu stabilisieren und jede Form des Umschlagens zu vermeiden. Und trotzdem ist sie nicht allmächtig: Im Sein blitzt der Schein auf, in der Fraglosigkeit blitzt die Fragwürdigkeit auf, im Selbstverständlichen die Unverständlichkeit“ (100). Und ferner: „Die flimmernde Perspektive gestattet es uns, die vermeinten stabilen Selbst- und Dingidentitäten als fragwürdige erscheinen zu lassen.“ (ebd. 100)
Mit einer phänomenologischen Analyse des finkschen Grundphänomens der Arbeit thematisiert Giulia Cervo im Beitrag „Das Menschenwesen als endliches Schöpfertum: Natur im Kontext von Arbeit und Freiheit“ (S. 102–125) die problematische Natur menschlicher Freiheit. Die Arbeit wird als Medium von Natur und Freiheit erörtert: „In der Arbeit äußern sich zugleich die irdische Natur des Menschen und sein geistiges Wesen, die miteinander verwoben und voneinander untrennbar sind.“ (103) Anhand des Begriffs der „Entmenschung“ wird die finksche kosmologische Differenz, wie sie ab der Sechsten Cartesianischen Meditation Finks Ansatz zur Freiheit bestimmt, zur Geltung gebracht, im Unterschied zu Heideggers ontologischer Differenz. Dabei ist für Fink das Seinsverstehen ein Weltverstehen, wobei der Mensch sich als Arbeiter zur Welt so verhält, dass seine Natur – die allgemein als solche vorausgesetzt wird, ohne dass Natur überhaupt hinterfragt wird – etwas Problematisches bleibt, „da sie nur im Tun und Schaffen hergestellt und ausgelegt wird“ (102) und somit zur Verdinglichung der menschlichen Existenz als Notwendigkeit aber auch Hauptgefahr wird. (118) Anhand des Themas der Arbeit und des Begriffs der Entmenschung wird die schlecht gestellte Frage nach der Natur des Menschen erörtert. Die Freiheit wird als „Kampf um Transzendenz, d.h. als me-ontische Negation des Binnenweltlichen, verdeutlicht“ (102), wobei im Beitrag auch eine Entwicklung des finkschen Freiheitsbegriffs sowie Formen der Entmenschung nachgezeichnet werden.
Der dritte und letzte Buchabschnitt zum Thema „Welt“ ist mit fünf Beiträgen am umfangreichsten. Auch in diesem Abschnitt werden ganz unterschiedliche Perspektiven auf das Thema ohne exhaustiven Anspruch zusammengetragen. Mit Überlegungen zur Bildhaftigkeit der ontologischen Erfahrung des Menschen, zur Erziehung, zum exzentrischen Wohnen bis hin zu grundsätzlichen Fragen zu zeitgenössischen kosmologischen Ansätzen lässt der Abschnitt die Vielfältigkeit der finkschen Ausarbeitungen in seiner Kosmologie durchscheinen.
Anna Luiza Colli hebt in ihrem Beitrag „Tantalus und die kosmologische Dialektik: Bildhaftigkeit der ontologischen Erfahrung des Menschen als ens cosmologicum“ (S. 126–141) die von Fink eingesetzte mythische Figur des Tantalus hervor, durch welche die „Unfassbarkeit der Begegnung des Menschen mit dem Sein“ erhellt wird (135), wobei verdeutlicht wird, dass „eine vollkommene Aneignung des Seins nicht möglich ist“ (136) Maßgeblich wird hier die Spanne von Himmel und Erde, in der die Dinge „Zwischendinge“ als „Abbilder der Erde wie des Himmels“ sind, und der Mensch zwischen der „Verborgenheit und der Unverborgenheit des Seins“ endlich und seiner Endlichkeit bewusst und somit auf Seiten der Erde aber auch des Himmels ist. (134)
Das Unfassbare erhält – und darauf läuft dieser Beitrag hinaus – im Bild „die Chance, sich […] zumindest als Erscheinung im Wirklichen darzustellen.“ (139): „Da es Wirklichkeit und Unwirklichkeit als Bestandteile an sich hat, öffnet das Bild einen Zugang zu einer Zwischenwelt, in der das Unfassbare, Unsagbare, Ungreifbare zum Scheinen kommen kann (Fink, E., 1966, Studien zur Phänomenologie 1930-1939, Phänomenologica, Bd. 21, 18). Das schöpferische Spiel, das auch in der Struktur des Bildes anwesend ist, »reflektiert somit nicht nur die ekstatische Aufgeschlossenheit des menschlichen Daseins zur Welt, sondern – spekulativ formuliert – die Welt selbst reflektiert sich im Spiel und erweist so das menschliche Spiel als Geschehen im Welt-Spiel selbst« (Sepp, H. R., 2012, Bild. Phänomenologie der Epoché I, Orbis Phänomenologicus Studien, Bd. 30, Würzburg, 100). Deswegen nennt Fink das Bild ein »Fenster ins Absolute«.“ (139) Das Bild wird als mediale Form der Erfahrung des Menschen als Mittler erwiesen, das zum Scheinen bringt, was nicht scheinbar ist, das Unwirkliche bestehen lässt aber als Erscheinung in die Wirklichkeit vermittelt, d.h. das dialektische Spiel der Gegensätze erkennen lässt, so dass das himmlische Licht gezeigt werden kann, wobei das Dunkle des Seins doch unfassbar bleibt. (vgl. 140)
Hans Rainer Sepps Beitrag „Exzentrisch wohnen: Anmerkungen zu Finks Bestimmung des Menschen als eines Verhältnisses“ (S. 142–161) steht thematisch dem zweiten Teil des Titels des Bandes am Nächsten: „Das Wohnen als Weltverhältnis“ wird in diesem Beitrag ausdrücklich zur Sprache gebracht. Wenn das „Wohnen“ bei Fink im Selbstverhalten des Menschen besteht, so umfasst dieses auch das Weltverhältnis, zumal das Selbstverhalten nur welthaft möglich ist. Festgehalten wird dieses als die Exzentrizität des Menschen, die Sepp hier als in einem besonderen Grenzverhältnis gründend darstellt: „Der Mensch ist so bei sich, dass er außer sich ist, er ist im Unverfügbaren der Welt verankert und gezwungen, in seinem Verhältnisssein die dem Weltverhältnis inhärente Spannung von Natur und Freiheit auszutragen.“ (142)
Sepp gibt einen bedeutsamen Hinweis für die Deutung der finkschen Kosmologie: Was an diesem Selbst- und Weltverhältnis als éthos, Wohnen im ort-zeitlichen Sinne aufgefasst werden könnte, bezeichnet Fink mit physis, was „die antike Bestimmung Eingefügtsein des Menschen in Welt“ aufgreift. (144) Anhand einer weiterführenden Erörterung des „Verhältnisses“ als solchem, geht Sepp auf die finkschen Grundphänomene ein, die diese begriffliche Wahl erhellen: Der Bezug zur Welt, zum Kosmischen, wird vordergründig, das kosmische Geschehen als Physis bestimmt jeden Bezug und erschließt sich meontisch als Entzug auch im Selbstverhalten. (149) Über die Grundphänomene in die Welt eingelassen, erfährt der Mensch dieses Geschehen allerdings jeweils fragmentarisch, obzwar das Wissen um das Fragmentarische, darum dass „was jetzt und hier ‚ist‘, nicht alles ist“ durchscheint. (S. 147) Wohnen ist „verstehendes Wohnen im Weltall“ (Fink, 1987, 225), und zugleich ‚Sitte‘, d.h. „Selbstauslegung“ einer „menschlichen Gemeinschaft“ (Fink 1992, 34).
Die Denkaufgabe des Beitrags gilt allerdings – im Anschluss an eine eingehende Analyse der Spannung, des „Risses“ (156) zwischen Natur und Freiheit – der Spannung von Vereinzelung und Sozialisierung, einzelner und gemeinschaftlicher Existenz (151 f.). Sepp analysiert die Gleichursprünglichkeit dieser, in dem Sinne, dass die eine nicht auf die andere zurückgeführt werden kann, und wirft die Frage auf, ob die „vereinzelte Existenz aufgrund ihrer gebürtlichen Separation früher als ihr Sozialkonnex ist“ (155). Dieser Ansatz zieht die Frage nach einer vorweltlichen, nicht verstehenden Erfahrung nach sich, eines „außerhalb des Verstehens fungierenden ‚Egos‘“, für das der Begriff „schlechterdings“ fehlt (156), das jedoch bei Levinas als „das Selbe“, beim frühen Nishida als „Reine Erfahrung“ und bei Michel Henry als eine „selbstaffektive Bewegung einer vorgängigen Subjektivität, die sich mit Mitteln des Verstehens nie einholen kann“ thematisiert wird.
Bei Fink betrifft der genannte „Riss“ nicht nur das „Gegenwendige“ Natur und Freiheit, sondern auch die „Spannung von Welt und Selbst“. Die Folge wäre, dass auch das „Insein menschlicher Existenz“ (156), so Sepp, differenziert werden müsste. „Das Insein als In-der-Welt-Sein bzw. als »Mit-Teilen« im coexistenziellen Sinne Finks würde nur diejenige Art und Weise bezeichnen, wie sich Existenz versteht, nämlich ‚zunächst und zumeist‘ als solche, die in einen sozialen Verband verfugt ist.“ (ebd.) Fink rückt die „Natur-‚Seite‘“ menschlicher Existenz als einen Randbereich existenziellen Verstehens“ in den Blick, aber „verbleibt dabei noch im Kontext des Verstehens“ wobei er den „meontischen Grenzbereich“ nur auf die Welt, nicht aber auf das Selbst bezieht. (ebd.)
In dieser Annahme wäre das „a-soziale Insein leibkörperlicher Existenz“ als „Randzone verstehenden Weltbezugs“ in der meontischen Auffassung des Abgrunds des Selbst „nicht hinreichend gefasst“. (157) Die Folge wäre, dass „ein Verstehen der Reichweite des Könnens menschlicher Existenz, seiner Freiheit“ vom „‚positiven‘ Verstehen“ aus nicht erfasst werden kann und somit im Unterfangen der Theoría unzugänglich bleibt. (159) Sepps Vorschlag wäre „ ein anderes Insein“ anzusetzen, „welches das Leben in bloßer leib-körperlicher Faktizität, im Berühren der Erde, im Ein- und Ausatmen der Luft, in der Nahrungsaufnahme, im Wachen und Schlafen etc., zum Ausdruck bringt.“ (ebd.) Anhand des Widerstands der Erde, der „als solcher“ nicht mit einem Sinn, sondern mit ihrer namenlosen Festigkeit und Undurchdringlichkeit korreliert (etwa in der Arbeit, wo sie sich der „anlegenden Hand verweigert“, 158), worin sich die „Verschlossenheit der Erde“ ankündigt, ist die Grenze verstehender Erfahrbarkeit zu sehen. „Leib-körperlich erfahrene Widerständigkeit bricht mein (verstehendes) Verhalten, und erst meine daraufhin erfolgende Reaktion kann eine sinnhafte sein.“ (158) Daraus schließt Sepp, dass es eine „Erfahrung, die nicht über das Verstehen verläuft, gibt“ und weist im Weiteren auf die Folgen für die Reichweite des Könnens menschlicher Existenz, seiner Freiheit“ hin. (159 f.)
Der Philosophie der Erziehung, einem gewichtigen Teilbereich des Finkschen Denkens, wendet sich Tatiana Shchyttsova mit „»Der Zug der Welt«: Erziehung und Heilen im Miteinandersein von Alt und Jung“ zu (S. 162–179). Shchyttsova nimmt eine kritische Stellung ein gegenüber dem Festhalten der Erziehungseinrichtungen wie Schulen und Universitäten an „jenem technisch-bürokratischen Verstand (…), der den erzieherischen Vorgang systematisch als Instrument eines Gewährleistens wirtschaftlicher Effizienz begreift“ (163). Sie widmet sich zwei Ansätzen den „ungeheueren Reduktionismus des technisch-ökonomischen Ansatzes“ (ebd.) mit neuen Richtlinien für „eine Beantwortung der Frage nach dem »Wozu« zu belegen, nämlich der kosmologischen Deutung des Erziehungsphänomens durch Eugen Fink und der filmischen Darstellung der Beziehung zwischen einem alten Mann und einem Jungen in „Is Anybody There?“ von John Crowley, die beide auf vor-wissenschaftliche, intergenerative Erziehung setzen. Worauf der Beitrag abzielt ist zu zeigen, „dass Erziehung und psychisches Heilen zwei gleichursprüngliche Dimensionen der intergenerativen Co-Existenz bilden und dass der genannte Film gerade diese These in einer gewissen Hinsicht zur Anschauung bringt.“ (164) Der psychisch heilsame Aspekt der Erziehung geht auf das den Generationen gemeinsame urtümliche Leben zurück, das die Sterblichkeit des Einzelnen mit der Unsterblichkeit unseres Geschlechts verknüpft: „Heilend kann die erzieherische Co-Existenz eben insofern sein, als es sich dabei um das Erleben handelt, welches die jeweilige intergenerative bzw. erzieherische Relationalität durch die Lebendigkeit untermauert, deren Lebensbejahung der Permanenz des urtümlichen Lebens entspringt.“ (170)
Wie Shchyttsova festhält, ist Finks anthropologische Auffassung des Menschen als weltoffen – wobei die Welt als „ein Geschehen, welches nie in seiner Totalität fassbar wie auch nie auf den Bereich des Erscheinenden reduzierbar ist“ (165) – auch für seine Auffassungen zur Erziehung entscheidend: „Die klassische dualistische Gegenüberstellung von Geist und Materie“ wird in der „kosmologischen Dialektik“ so umgedacht, dass die Natur nicht im Widerspruch zur Freiheit steht, sondern mit ihr zusammen die Wirklichkeit der menschlichen Existenz ausmacht. (166) Das allumfassende Leben, auf das der Mensch in seiner Leiblichkeit als tieferen Lebensgrund angewiesen ist, ist mit der Existenz, mit der Idee der individuellen Freiheit dialektisch verwoben und macht den Menschen so als „Mittler“ aus. (166 f.) Mit dem „Kreis des Mitleids und der Neugier“, in den die Generationen in der Interaktion zentripetal hineinfinden, bietet Shchyttsova ein plastisch anschauliches Modell einer Erziehung wieder, bei der es um „die Intensivierung der Angewiesenheit auf die Permanenz des Lebens“ gehen kann, so dass der „geheilte Lebenszustand“ vordergründig wird (179).
Als einziger auf Englisch verfasster Beitrag, unterbricht Krystof Kasprzaks „Absolute Incomprehension as Meontic Singularization in Eugen Fink’s Critique of Hermeneutics“ (S. 180–200) den sprachlichen Duktus des Bandes, was allerdings auch ein Aufmerken bewirken kann, sprachlich Routiniertes neu zu bedenken. Kasprzak knüpft sich Finks Kritik der Hermeneutik vor, um zu zeigen, wie diese Kritik zur Entwicklung seiner meontischen Philosophie beiträgt. Im Mittelpunkt steht die Bedeutung des Nichtverstehens, das Fink als Anfang des Denkens und der philosophischen Erfahrung sieht. Finks Auffassung der Erfahrung wird in Gegenüberstellung mit jener Hans-Georg Gadamers als Auslegung des hegelschen Ansatzes dargelegt. (vgl. 180) Das absolute Nichtverstehen wird schließlich in Nähe zu Rainer Schürmann’s Begriff der „kommenden Vereinzelung“ gebracht um die Frage nach der meontischen Philosophie auf die meontische Natur der Vereinzelung zurückzuführen (ebd.), die die Existenz aus dem geschlossenen Kreis des Allgemeinen und Individuellen hinausführt (199).
Den Band rundet Karel Novotnýs Beitrag „Die Welt und das Ereignis des Erscheinens: Bemerkungen zu einem zeitgenössischen kosmologischen Ansatz“ (S. 201–222) ab und eröffnet zugleich exemplarisch den Blick auf weitere zeitgenössische kosmologische Ansätze, indem es den Ansatz Renaud Barbaras im Vergleich zu jenem Finks anführt. „Der Beitrag weist auf Parallelen und Unterschiede beider Denkansätze hin und kommt zu einem Schluss, der die Rolle der Leib-Körperlichkeit betont: Die Dynamik der Manifestation erwächst trotz der Übermacht der Welt aus einem Bezug des endlichen Lebens zur Welt und ist von der Erde getragen, die in diese Dynamik selber weder eingeht noch in ihr aufgeht.“ (201, vgl. 221)
Den Ausgang nimmt dieser Beitrag in einem Unterschied zwischen Barbaras und Fink: „Während für Fink das »Ereignis« auf die Seite der Welt selbst gehört, ist es für Barbaras eine Bezeichnung dafür, was zwar der Welt zuteil wird, ihr selbst aber nicht eigen ist und in diesem Sinne sozusagen als etwas ihr Fremdes geschieht. Fremd ist es deshalb, weil es nicht aus der Welt kommt.“ (203) Novotný ist um eine Art Vermittlung der beiden Positionen bemüht: „Das Erscheinen als ein Ereignis zu fassen, welches die Subjektivität der Welt eröffnet, die durch den Weltbezug zugleich sich selbst begegnet.“ (203) Dabei wird das Ereignis weder, wie bei Fink, der Welt zugeschrieben, noch, wie bei Barbaras, dem Moment der Subjektivität (als Nichts der Subjektivität). Das „Ereignis“ soll dafür stehen „dass es etwas nicht nur gibt, sondern dass es eben erscheint.“ (203) Konsequenterweise bedeutet dies, dass sich dem Erscheinen nicht nur die Subjektivität sondern auch die Welt entzieht, wobei die Erde als Tragende hervortritt. „Die Erde bleibt diesseits der erhellten Manifestation, und das Ereignis dieser Auflichtung – das Erscheinen als solches, das bereits die Subjektivität impliziert, auch wenn es vom Schenken und Nehmen durch die Erde her nicht erklärt werden kann – verweist doch auf die Erde, weil die implizierte Subjektivität nicht anders als leiblich-irdisch lebt.“ (221)