Alice Holzhey-Kunz: Introduction à la Daseinsanalyse. Un regard existential sur la souffrance psychique et sa thérapie, Association Le Cercle Herméneutique, 2016

Introduction à la Daseinsanalyse. Un regard existential sur la souffrance psychique et sa thérapie Book Cover Introduction à la Daseinsanalyse. Un regard existential sur la souffrance psychique et sa thérapie
Collection Phéno
Alice Holzhey-Kunz. Préface de Thomas Fuchs
Le Cercle Herméneutique
2016
Broché
300

Bernard Bolzano: Écrits esthétiques, Librairie Philosophique J. Vrin, 2017

Écrits esthétiques Book Cover Écrits esthétiques
Bibliothèque des Textes Philosophiques
Bernard Bolzano. Édition coordonnée par Carole Maigné, professeure de philosophie à l’université de Lausanne, et Jan Sebestik, directeur de recherche au C.N.R.S.
Librairie philosophique J. Vrin
2017
Broché
224

Martin Heidegger: Introduction to Philosophy—Thinking and Poetizing, Indiana University Press, 2016

Introduction to Philosophy—Thinking and Poetizing Book Cover Introduction to Philosophy—Thinking and Poetizing
Studies in Continental Thought
Martin Heidegger. Translated by Phillip Jacques Braunstein
Indiana University Press
2016
Paperback $20.00
96, 2 b&w illus.

Chad Engelland: Heidegger’s Shadow: Kant, Husserl, and the Transcendental Turn, Routledge, 2017

Heidegger’s Shadow: Kant, Husserl, and the Transcendental Turn Book Cover Heidegger’s Shadow: Kant, Husserl, and the Transcendental Turn
Routledge Studies in Twentieth-Century Philosophy
Chad Engelland
Routledge
2017
Hardcover £105.00
280

Wer will Heidegger zähmen? Zu Donatella Di Cesares ‚Aufklärung‘ über die Schwarzen Hefte oder die postmoderne Verklärung Heideggers

Heidegger, die Juden, die Shoah Book Cover Heidegger, die Juden, die Shoah
Heidegger Forum 12
Donatella Di Cesare
Vittorio Klostermann
2016
406

Reviewed by: Emanuele Caminada (KU Leuven)

In Heidegger, die Juden, die Shoah stellt Donatella Di Cesare ihre revidierte Lektüre von Heideggers Philosophie vor. Diese Revision wurde durch den in den Schwarzen Heften ans Licht gekommenen Antisemitismus erforderlich. Di Cesare war stellvertretende Vorsitzende der Martin-Heidegger-Gesellschaft und ist Professorin für Philosophie an der Universität La Sapienza in Rom. Sie lehrt auch jüdische Philosophie am Collegio Rabbinico Italiano. Ihre Forschungsschwerpunkte liegen in der Hermeneutik und in den Verwicklungen der deutsch-jüdischen Geschichte im 20. Jahrhundert. Die von ihr hochstilisierte „jüdische Frage“ mit ihren philosophischen und politischen Konsequenzen stehen im Zentrum ihrer jüngsten Veröffentlichungen.

Das hier besprochene Werk ist ihre eigene Übersetzung ihres 2014 in Italien veröffentlichten Buches Heidegger e gli ebrei. I «Quaderni neri» (vgl. 2014a). I «Quaderni neri», “Die Schwarzen Hefte“, dient als Untertitel des Originals, das vor der zweisprachigen Veröffentlichung der Überlegungen II-VI 2015 (Heidegger 2015) auch der einzige Zugang zu den Schwarzen Heften auf Italienisch war. Es handelt sich um das Ergebnis ihrer langjährigen Auseinandersetzung mit dem Denker aus Meßkirch: [1] Der Antisemitismus habe bei Heidegger einen theologischen Ursprung, er habe eine politische Absicht und beanspruche damit einen philosophischen Rang (9)[2].

Die für das deutsche Publikum bestimmte Fassung unterscheidet sich lediglich im Kapitel IV vom Original: im Inhalt durch eine Änderung ihrer Interpretation des Dialogs zwischen Heidegger und Celan (§2); im Umfang durch das Einschieben von sieben neuen Paragrafen (§§7-14, S. 304-337), die sich auf den inzwischen erschienen Band 97 der Gesamtausgabe, Anmerkungen I-V (Schwarze Hefte 1942-1948) beziehen.

Aufgrund des brisanten Materials, das die Autorin in ihren hermeneutischen Zirkeln mobilisiert (die sogenannte „deutsche Tradition“ von Luther bis Hitler, die Diskussion der politischen Theologie zwischen Taubes und Schmitt, die post-moderne Lektüre Heideggers und die Konstellation Heidegger, Adorno, Celan), ist Heidegger, die Juden, die Shoah ein sehr komplexes Werk. Die Schwarzen Hefte, die ihr als Schlüssel ihrer Deutung lange vor der Veröffentlichung zur Verfügung standen, sind für sie „kein Grabstein für Heideggers Philosophie“ sondern eher eine Herausforderung, denn sie ließen die Schemata implodieren, mit denen Heidegger bisher gelesen wurde. Die gesamte „kontinentale Philosophie“ sei vom Skandal der Schwarzen Hefte getroffen (7).

Mit der Hypothese des „metaphysischen Antisemitismus“ (256ff.) möchte Donatella Di Cesare (im Folgenden: DDC) die antisemitische Matrix der Philosophie Heideggers aufzeigen. Diese Hypothese besagt, dass die Judenfrage sich in die Seinsgeschichte einschreiben würde und damit „philosophische Relevanz“ besäße (28). Eine derartige Hypothese beinhaltet allerdings zwei unterschiedliche Thesen: 1. Heideggers Philosophie habe eine metaphysisch antisemitische Matrix; 2. Heidegger erbe diese Matrix von der abendländischen Philosophie, d.h. von der Seinsgeschichte (mit oder ohne „y“, je nach Gusto), und führe sie nur zu ihrer radikalsten Konsequenz: und erst darin bestehe Heideggers Größe. Die erste These aufzuzeigen und auf der zweiten zu beharren ist die außerordentliche Leistung, die die Auslegung von DDC kennzeichnet: durch diesen hermeneutischen Kurzschluss verbrämt sie auf der Grundlage der zweiten die Bedeutung der ersten These.

Ihre Argumentation bedient sich eines polemischen Geistes, der es ihr erlaubt, sich gleichermaßen von den Apologeten Heideggers und von seinen Kritikern zu distanzieren, vor allen von Emmanuel Faye, den DDC bezichtigt, seine bahnbrechende Studie Heidegger. Die Einführung des Nationalsozialismus in die Philosophie ausgerechnet „2004, ein Jahr nach Derridas Tod“ veröffentlicht zu haben (34). Zehn Jahre später, nach der Veröffentlichung der Schwarzen Hefte, sei es zwar nicht mehr möglich, die politische und philosophische Dimension von Heideggers Engagement für den Nationalsozialismus zu leugnen, dennoch dürfe man auch nicht dem „mittelmäßige[n] Revanchismus“ und dem „starke[n] reaktionäre[n] Trieb“ derjenigen folgen, die Heidegger bei den Philosophiestudenten in Misskredit bringen wollen, um ihn „aus den demokratischen Diskursen zu verbannen“ (34). Man dürfe keinesfalls mit dem Strom „von alten und neuen Anklägern, aber auch von liberalen Kritikern, hartgesottenen Analytikern, Biedermännern jeder Art“, die sich endlich mit einem erleichterten „Goodbye Heidegger“ von dessen tiefgründigen Denken verabschieden möchten, schwimmen (34). Mit dieser Polemik will DDC offensichtlich den verstorbenen Heidegger-Kenner Franco Volpi treffen. Nachdem die kritische Einleitung für seine italienische Übersetzung der Beiträge (Heidegger 2007) von Hermann Heidegger zensiert worden war, trug er sie unter dem Titel „Goodbye Heidegger“ auf dem I Congreso Internacional de Fenomenología y Hermenéutica an der Universidad Andrés Bello in Santiago de Chile vor. Indem sie die Schwarzen Hefte mit dem „Logbuch eines Schiffbrüchigen, der die Nacht der Welt durchwandert“ vergleicht, verwendet DDC dieselbe Metapher, mit der Volpi das mit Heidegger abrechnende Fazit seiner zensierten Einleitung betitelte: „Schiffbrüchiger im Meer des Seins“, „§9 Náufrago en el mar del Ser“ (Volpi 2008). Von Volpis Auslegung der Beiträge übernimmt DDC ferner auch die Anregung, „einen kontinuierlichen Initiationsweg“ zwischen „den exoterischen, für die Öffentlichkeit bestimmten, und den esoterischen, an wenige [sic] gerichtete Schriften“ anzusetzen (115). Diesem Vorschlag folgend kann DDC in überzeugender Weise die Schwarzen Hefte als hermeneutischen Schlüssel der esoterischen – und antisemitischen – Philosophie Heideggers lesen. Jedoch kann sie Volpi die Majestätsbeleidigung nicht verzeihen, dass er sich nach einem der Heidegger- Forschung gewidmeten Leben, dazu veranlasst sah, mit Heidegger bzw. mit den ungeheuren Konsequenzen seines Denkens, „abrechnen“ zu müssen (Feinmann 2009).

Um ihre philosophische Position zu bestimmen, grenzt sich DDC von den folgenden möglichen Strategien ab, die den Zusammenhang zwischen Heidegger und dem Nationalsozialismus verständlich machen möchten (35-40): 1. Arendt (und Gadamer) mit ihrer unhaltbaren Parallele zwischen Plato und Heidegger sowie zwischen Hitler und dem Tyrann aus Syrakus; 2. Gadamer und Rorty, die die politische Inkompetenz der Philosophen zum Argument gemacht haben; 3. Pöggeler, welcher jeden Zusammenhang leugnete und die These des inneren Exils Heideggers wagte; 4. Adorno, Farias und Faye, die in jedem Satz seines Werkes, sogar in seinem Jargon, ihren Faschismusverdacht bestätigt sehen; 5. Habermas und Tugendhat, welche versuchten, Sein und Zeit – noch vermeintlicher Ausdruck der Subjektphilosophie – aus der nachfolgenden Kehre zu isolieren und damit eine „selektive Lektüre“ vorschlugen; 6. Ferry und Renaut, die hingegen einen einheitlichen, „integralere[n] Zugriff“ beanspruchen (39) – im italienischen Original ist in Klammern „oder integralistischer?“ hinzugefügt (2014, 22) –, indem sie das ganze Werk Heideggers unter dem Zeichen seiner radikalen Kritik der Moderne lesen.

DDC schlägt aber einen siebten Weg ein, d.h. eine Richtung, „um die sich zu einem großen Teil die kontinentale Philosophie in ihren verschiedenen Strömungen sammelt“ (39). Sie schließt sich den Thesen von Lacoue-Labarthe (nur mit Heidegger sei der Nationalsozialismus zu verstehen, indem Ausschwitz als das Wesen des Abendlands enthüllt wird), Lyotard (Heideggers Kompromiss mit dem Nationalsozialismus sei keine metaphysische Schuld sondern die Schuld der Metaphysik gewesen) und Derrida (Heidegger sei in dem Projekt der Dekonstruktion der Metaphysik nicht radikal genug gewesen) an und macht aus Heidegger den Kantor der Postmoderne. Um die Zentralität des Antisemitismus in seinem Denken zu verdeutlichen, eignet sie sich die Argumentationen von Farias (1987), Losurdo (1991) und Faye (2004) an. Um trotzdem den philosophischen Wert des Werks Heideggers zu rechtfertigen, schöpft sie mit vollen Händen aus der Tradition, die Gadamer, Derrida und Lacoue-Labarthe als polemische Antwort auf Farias angeregt hatten.

Nach dieser polemischen Einleitung führt DCC die These ein, dass der philosophische Antisemitismus Heideggers kein isoliertes Phänomen darstelle, sondern vielmehr die ganze deutsche Philosophie und sogar die gesamte abendländische Metaphysik kennzeichne. So gesehen, scheint für die Autorin die Bedeutung der Schwarzen Hefte nicht in der Frage nach der individuellen Verantwortung Heideggers, sondern vielmehr in der Bezeugung der mutigen Radikalität, mit der er die Metaphysik zu Ende gedacht habe, zu liegen.

DDC unterstellt eine vermeintliche Denklinie, die, von Luther über Kant, Hegel und Nietzsche führend, in Hitler gemündet sei. Die Genealogie dieser „deutschen Tradition“ spiegelt – und daraus macht DDC kein Geheimnis – einen der zahlreichen revisionistischen Versuche wider, womit die Verantwortlichen der nationalsozialistischen Propaganda die Schuld für diese in die Schuhe historischer Präzedenzfälle schoben, z.B. indem Luthers Judenschrift als die erste grausame Attacke der Presse gegen die Juden gepriesen wurde (47). Diese Teleologie wird von DDC im zweiten Kapitel sehr ernst genommen.

Sie schreibt den Antisemitismus Luthers in den eschatologischen Rahmen der antijudaischen Linie der Substitutionstheologie ein. Dieser Theologie zufolge habe Christus den Bund zwischen Gott und Israel gebrochen und durch einen neuen Bund ersetzt, welcher allein die Erlösung versprechen könne. Ihre Analyse von Hitlers Antisemitismus in Mein Kampf (102-110) will zeigen, wie sich die antisemitischen Elemente der „deutschen Tradition“ sich in dem von der nationalsozialistischen Bewegung gepredigten Massen- und Vernichtungsantisemitismus wiederfinden lassen.

Zur Ergänzung ihrer berechtigten Anklage der christlichen Theologie sollte man vielleicht auch die Arbeit von Jules Isaac erwähnen, der die Thesen des theologischen Antijudaismus 1948 in seinem Jesus und Israel exegetisch widerlegte. Seitdem wurden der Antijudaismus und dessen Verurteilung ein großes Thema der theologischen Debatte, welche u.a. Widerhall in der Erklärung Nostra Aetate des Zweiten Vatikanischen Konzils (1965) fand. Die Argumentation von DDC hat also den Wert, die eschatologischen und apokalyptischen Elemente des theologisch gefärbten Antisemitismus des 20. Jahrhundert ernst zu nehmen. Die These der Kontinuität der „deutschen Tradition“ wird allerdings von der historischen Rezeptionsforschung der antisemitischen Schriften Luthers zurückgewiesen. Bis zur zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts fanden Luthers politische Schriften gegen die Juden keine große Verbreitung. Sie gewannen mit dem Aufkommen des Wunsches nach einer Germanisierung des Christentums in einigen Milieus der evangelischen Theologie (Kaufmann 2014) an Bedeutung. Erst damit konnte Luther Gegenstand (und Vorwand) für die Verbreitung antisemitischer Presse werden. Die These, dass der Antisemitismus das Herzstück der „deutschen Tradition“ ausmache, dient DDC jedoch dazu, ihre postmoderne Lektüre Heideggers zu bestätigen: nicht nur er, sondern die ganze „Onto-Theo-Logie“ des Abendlands war antisemitisch. Heideggers Destruktion dieser Tradition könne also sogar hilfreich sein, um sich von ihrem Antisemitismus zu befreien.

In dem Zusammenhang dieser Auslegung des Antisemitismus der „deutschen Tradition“ fällt insbesondere die Vehemenz ihrer Missbilligung von Kants Universalismus auf. DDC geht ausgiebig auf den unglücklichen Ausdruck „Euthanasie des Judentums“ aus Kants Streit der Fakultäten ein (68). Mit diesem Ausdruck schlug Kant vor, dass das Judentum der „Religion Jesu“ direkt in ihrer rationalen Version folgen solle. Der gute Tod sei für das Judentum nicht die Bekehrung zum Christentum – eine Sekte unter anderen, obgleich die rationalere – sondern das stufenlose Erreichen der rationalsten Religion, d.h. die „reine moralische Religion“. Diese Aussage Kants wird von DDC als das Ergebnis der aufklärerischen Säkularisierung der Substitutionstheologie gedeutet, in der das Christentum selbst durch die rationale Religion der reinen Moral zu ersetzen sei.

Aus den Belegen zahlreicher antijudaischer Einflüsse auf die Religionsphilosophie Kants will DDC die von Lyotard veranschlagte „Schuld der Metaphysik“ ableiten. Die Schlussfolgerung, dass „der Jude“ konstitutiv jedem Definitionsversuch entgehe und deswegen die Rache Kants erleiden musste, überzeugt allerdings nicht. Dass das Judentum nicht „in Begriffe zu fassen“ sei, denn dies sei ein „unmögliches Unternehmen, in dem das zu Definierende sich der Definition entzieht“, gehört zu den Grundvoraussetzungen der philosophischen Position DDCs. Kants Auseinandersetzung mit dem Judentum zeige in ihrem Wortlaut nur, wie „der Jude“ „außerhalb der Metaphysik situiert [wird], die, um triumphieren zu können, seine Euthanasie verfolgt“ (69).

Die „deutsche Tradition“ gilt als Auftakt der zentralen Hypothese des Buchs: Aus den Schwarzen Heften lasse sich Heideggers „metaphysischer Antisemitismus“ erst durch die rhetorischen Figuren der „Metapher einer Abwesenheit“ erschließen (125ff.). DDC hebt hervor, dass, obwohl die Termini Jude, jüdisch, Judentum in den Überlegungen aus der Zeit zwischen 1938 und 1941[3] lediglich vierzehnmal auftauchen, Heidegger sich einer antisemitisch kodierten Sprache bedient habe, welche den Regeln der Lingua Tertii Imperii folgt, d.h. die verbrämend anspielungsreiche Sprache des Dritten Reiches, die Victor Klemperer in seinem 1947 erschienenem Werk LTI – Notizbuch eines Philologen untersucht hatte (1947). DDC erwähnt zwar die Abkürzung LTI in dem Schlüsselparagraph ihrer hermeneutischen Auslegung (125-126), vergisst aber, das Werk Klemperers ordnungsgemäss zu zitieren und kommt erst so nebenbei an zwei anderen Stellen (173; 233) darauf zurück. Die Konsequenz der Hermeneutik der „Metapher einer Abwesenheit“ besteht darin, dass die termini technici der Philosophie Heideggers unheimliche Konturen annahmen. Damit „spitz[t] sich die ontologische Differenz zu“ (128) und wird zur Matrix des planetarischen Krieges zwischen dem (deutschen) Sein bzw. Seyn und dem (jüdischen) Seienden: die Juden werden der „Entwurzelung alles Seienden aus dem Sein“ bezichtigt (GA 96, 243; zit. 27). „Seinsvergessenheit“ und „Seinsverborgenheit“ seien für Heidegger eine jüdische Schuld. Immerhin habe aber, so DDC, Heidegger den Mut gehabt, die Judenfrage auf die Seinsfrage zurückzuführen, damit die Judenfrage „in ihrer abgründigen Tiefe nicht als Rassenproblem, sondern als metaphysische Frage“ auftrete (131). Alles ereignet sich in einer tragischen Landschaft, die den lyrischen Pathos der Autorin entflammt: die heideggersche, kalte Nacht des Seins verlange, den Untergang des Abends nicht zu akzeptieren, sondern einen neuen Weg in der „Nacht des neuen Anfangs“ zu versuchen, in der Erwartung eines neuen Morgens. Das interessanteste Kapitel, im Rahmen der von DDC vorgenommenen Wiederverwertung mit Vorzeichenänderung der Topoi des metaphysischen Antisemitismus Heideggers, befasst sich mit dem Zusammenhang zwischen Heidegger und Carl Schmitt. Die Relevanz Schmitts für den Ansatz DDCs ergibt sich aus der Kritik Taubes an Schmitt. Taubes zufolge sei Schmitt ein „Apokalyptiker der Gegenrevolution“, der von oben herab denke, an der Seite der Gewalten dieser Welt, welche durch die Funktion des „katechon“ die messianische Zeit bremsen möchten. Taubes identifiziert sich hingegen mit dem Messianismus und will sich als Apokalyptiker verstehen, der „von unten her“ denkt (222). So wie Taubes zur Wiederherstellung der Legitimierung des Denkens Schmitts durch seine Kritik beitrug, so möchte DDC sich für Heideggers metaphysischen Antisemitismus auf der Grundlage der postmodernen Auseinandersetzung einsetzen.

Heideggers Abrechnung mit Schmitts Kategorien des Politischen sei „bündig“. Sie gipfele „in dem h[ä]rt[esten und destruktivsten (liquidatorio) aller] Verdikt[e]“ (wie es im Original zu lesen ist (225; It: 179) – der Ton des Superlativen ist in der deutschen Übersetzung abhandengekommen): „Carl Schmitt denkt liberal“ (GA 86, 174). Nach der Lektüre der Schwarzen Hefte scheint jedoch diese Abrechnung in ihrer Universaldeutung der kindischen Geste des tu quoque ziemlich banal: Auch du, Schmitt, hast dich mit der Metaphysik kompromittiert, denn du hast auch mit den liberalen Kategorien des modernen Subjekts gedacht. Denn was sei es anderes als liberal, in der metaphysischen Dichotomie Freund/Feind zu denken? Zum Glück helfe Heidegger hier: Die Opposition sei nicht Ursprung, sondern Ergebnis des Politischen, welches in seinem Wesen polemos sei.

DDC lädt uns ein, uns mit Heidegger „auf einen steilen, wenig begangenen Weg, der vom Staat aus zur pólis zurückführt“, zu begeben (225). Mit diesen bewundernden Worten beschreibt sie den Weg, „dem die ‚nationale Revolution‘ hätte folgen müssen“. Die Revolution nämlich, die „angetreten [war], wiederzusammenzuführen, was die Moderne getrennt hatte: die griechische pólis und den Staat“ (225-226). Während in der Regel die pólis als Vorbild der deliberativen Demokratie gilt, schöpfe hingegen Heidegger DDC zufolge „die Ressourcen des Deutschen aus und folg[e] seinen homophonischen Verweisen“: Staat, Stadt, Staat, Stätte, gestatten. Daraus sei ersichtlich, dass „auf Deutsch“ pólis gestattet die Statt – in dem Sinne, dass sie das menschliche Wohnen ermöglicht“, bedeutet (226). Dank dieses etymologischen Schamanismus der indoeuropäischen deutsch-griechischen Achse, welcher schon von Beierwaltes in seinem Heideggers Rückgang zu den Griechen (1995) exemplarisch analysiert wurde – kann DDC uns versichern, dass die pólis sich als der Ort der noch ungedachten, jeweils neuen und singulären Möglichkeiten“ erweise, denn Heidegger halte sich von jeder „instrumentalen Auffassung der Politik“ fern. Seine Absicht sei nur, „die politischen Kategorien dem Begriffszusammenhang der Moderne [zu] entziehen, das ‚Politische‘ ab[zu]bauen, oder, besser [zu] dekonstruieren“ (226).

Das Paradigma der Dekonstruktion wird damit zur Verklärung der Destruktion der modernen Politik. Den inzwischen veröffentlichten neuen Texten – und nicht nur den Schwarzen Heften – zum Trotz, versucht DDC, die Ansicht Derridas aufrechtzuerhalten, dass zwischen polemos und Krieg ein abgründiger Unterschied bestehe. Jedoch scheint es anhand ihrer Textbelege eher der weniger tröstende Fall zu sein, dass Heidegger die Kämpfer des real existierenden Weltkrieges überzeugen möchte, durch ihren Krieg diesen Abgrund zu überbrücken: es gäbe einerseits Kämpfer, die eines Feindes, eines Gegners bedürften, und andererseits solche, die für ein Ziel, für eine wesentliche Entscheidung kämpfen können (GA 96, 183; 232). DDC würde gerne in diesem Anspruch Heideggers einen nichtkriegerischen polemos sehen. Heidegger betont allerdings, dass es erst durch die Setzung eines eigentlichen und höchsten Kriegsziels, möglich sei, als Überlegener den Kampf zu gewinnen, ohne durch die mimetische Steigerung der Strategie des Feindes auch im Fall eines Kampfgewinns besiegt zu werden. Daher müssen die Deutschen mit den Waffen und mit dem Geist überlegen kämpfen und siegen. DDC möchte hingegen, dass ihr Philosoph sich schon 1940 „über den planetarischen Krieg keine Illusionen mehr“ gemacht habe und dass er sich lediglich darum gekümmert habe, den Unterschied zwischen Kampf und Krieg zu bewahren (232-233). Vor der historischen und der von ihr selbst angedeuteten hermeneutischen Wirklichkeit kann ihr ständiges Kokettieren zwischen den Zeilen mit dem revolutionären Potential von Heideggers Antiliberalismus nichts anderes als einen revisionistischen Beigeschmack erhalten.

Strenger ist ihre Verurteilung der heideggerschen Übernahme des Mythos der Verschwörung des Weltjudentums gegen die Deutschen (233-241). Im Ausgang von der Arbeit von Peter Trawny zum Thema zeigt sie, wie Heidegger mit Eckart, Rosenberg und Hitler diese Weltanschauung geteilt und zum ontologischen System erhoben habe, indem er die geheimen Mächte schilderte, die die „jüdische Machenschaft“ durch die grausamsten Erträge der Metaphysik steuerten. Eine solche Verschwörungstheorie sei ihr zufolge kein Randthema des Antisemitismus, den Heidegger in die Seinsgeschichte eingeschrieben habe. Nichtsdestotrotz stellt die Autorin die Gültigkeit des universalen, seinsgeschichtlichen Narratives nie in Frage, vielmehr benötigt sie die Seinsgeschichte als Ausgangspunkt ihrer messianisch gefärbten, post-metaphysischen Geschichtsphilosophie.

Nachdem sie den radikalen Essentialismus der Geste Heideggers, welcher den Völkern, vor allem den Juden und den Deutschen, metaphysische Kategorien und Aufträge zuweist, aufgezeigt hat, stellt DDC ihre Argumentation auf den Kopf und feiert die Kühnheit, mit der Heidegger „sowohl die Definition der Identität als auch den Begriff des Wesens“ einer Kritik unterzogen habe (257). Allerdings – und darin besteht ihre gekonnte argumentative Pirouette – habe er sich durch seine mit den Autoren der Nürnberger Gesetze geteilten Sorge, „den Juden zu definieren und zu identifizieren“ mit der Metaphysik kompromittiert: „Heidegger verrät gewissermaßen die Seinsfrage. Wenn er in Bezug auf die Judenfrage danach verlangt, das Wesen der Juden zu definieren, fällt er in die Metaphysik zurück“ (258). Das dichotomische Verfahren, das den Juden aus der Geschichte des Abendlandes für immer ausgeschlossen habe, sei „jedoch nicht [verständlich] für einen Philosophen, der sich die Frage nach der Metaphysik stellt und versucht, sie durch die Destruktion ihrer erstarrten Sprache in ein Anderes zu versetzen“ (259). Trotz der sichtlichen Enttäuschung richtet die Autorin ihre Anklage an seine Logik: Nicht der Philosoph, sondern „[d]ie dichotomischen Begriffsreihen entscheiden über das Verhältnis zwischen dem Sein und den Juden“ (259); „Weil er nicht wie der Jurist an der Definition und der Selektion teilnimmt, scheint er von einer unmittelbaren Verantwortung entfernter zu sein. Andererseits ist er umso verantwortlicher, desto näher er an den metaphysischen Dichotomien arbeitet. Er haftet für die Metaphysik“ (259). Die Schuld Heideggers bestehe also in dieser unerwarteten Nähe zu den metaphysischen Kategorien!

Diese Nähe ist der wichtigste Grund für den Ausdruck „metaphysischer Antisemitismus“, welchen DDC der Bezeichnung Trawnys „seinsgeschichtlicher Antisemitismus“ gegenüberstellt (Trawny 2014a). Das Adjektiv „seinsgeschichtlich“ habe „eine mystische Aura und einen esoterischen Ton, die die diskriminierende Geste mildern“ könne und „Heideggers Stellung in der Diskussion um den Antisemitismus isolieren, als ob sie ein unicum wäre“. Denn, wenn der Jude aus der Seinsgeschichte ausgetrieben wird, sei der Grund darin zu suchen, „dass Heidegger bei der Definition des Juden zu einem Metaphysiker wird“ (260) bzw., wie es treffender im Original heißt, weil Heidegger „die Metaphysik nicht verlassen“ habe (211).

Der größte Unterschied zwischen ihrer und Trawnys Konzeption, besteht darin, dass Trawny, den Antisemitismus nur für die Seinsgeschichte gelten lässt. Dies lasse jedoch „noch die Möglichkeit offen, dass Heidegger vor und nach der ‚Kehre‘ kein Antisemit gewesen“ sei (Di Cesare 2015a, 83). Noch mehr: DDC hatte sich nicht gescheut, Trawny im italienischen Original vorzuwerfen, dass seine These verberge, „dass Heideggers Denken ‚kontaminiert‘ sei. Jedoch sei das Wort ‚Kontamination‘ bedenklich, da es die Metapher des Juden, der verseucht und Unreinheit bringt – sogar, paradoxerweise, mit dem antisemitischen Diskurs – wieder wachrufe.“ (Di Cesare 2014a, 294, FN 44). In der von Trawny selbst revidierten deutschen Fassung ist lediglich zu lesen, dass dieser „die Frage nach der ‚Kontamination‘ auf eine kritische und offene Weise“ gestellt habe (Di Cesare 2016, 125, FN 46). Auf jeden Fall ist festzustellen, dass DDC, im Unterschied zu Trawny, keine Bedenken hat, den Schatten des Antisemitismus auf das ganze Werk Heideggers zu werfen. Die größte Herausforderung für die künftige Heidegger-Forschung bestehe nun darin, den Zusammenhang zwischen Sein und Zeit und den Schwarzen Heften zu untersuchen (Di Cesare 2015a, 123-127).

Anders als Trawnys „seinsgeschichtlicher Antisemitismus“ solle der Ausdruck „metaphysischer Antisemitismus“ Heideggers esoterische Sprache entmystifizieren. So lasse sich sein Ansatz nicht nur in die philosophische Tradition einordnen, sondern zugleich auch in den Massenantisemitismus seiner Zeit, welcher – nach dem Programm von Hitlers Mein Kampf – die antisemitische Gnosis einiger völkischer Autoren in einen dogmatischen Massenglauben umsetzen sollte. Dies zeigte bereits die von DDC zitierte Analyse von Waldemar Gurian aus dem Jahre 1932:

Der Antisemitismus, der im neuen Nationalismus auflebt, ist also viel tiefer begründet als seine Vorläufer im 19. Jahrhundert. Der Jude wird als eine metaphysische Erscheinung betrachtet, vom gesamten Lebensgefühl her abgelehnt […]. Der metaphysische Antisemitismus wird zu einem Massenglauben, nachdem er vorher trotz der Popularität einzelner völkischer Autoren, vor allem Chamberlains, nur eine Angelegenheit kleiner gebildeter Kreise gewesen war. (Gurian 1932, 77)

DDC übernimmt Gurians Ausdruck, seine Pointe geht aber durch ihre postmetaphysische Verklärung verloren: Während Gurian die Neuigkeit und den Ursprung des totalitären Antisemitismus hervorgehoben hatte, will sie damit die „Kontinuität“ mit der Vergangenheit unterstreichen (Di Cesare, 2015a: 84): Es handle sich um die metaphysische Übertragung des christlichen Antijudaismus, welcher, mit seiner Dichotomie, die abendländische Philosophie durchdrungen habe (262). Sie schließt sich damit der These Lyotards an, der zufolge Heidegger sich die „‚Schuld‘ der Metaphysik“ zu eigen gemacht habe. Es handle sich bei ihm nicht um den opportunistischen, „politische[n] Fehler eines apolitisch Unbegabten“, nicht um eine „triviale Entgleisung, die ordinäre Verirrung der Meisten“, sondern um „ein[en] philosophische[n] Irrtum, der Irrtum des Philosophen, der die Metaphysik in Frage gestellt“ habe (262-263). Also doch ein unicum.

In ihrer Interpretation warnt – so dichtet DDC um – der figurale Jude Heidegger und versucht vergeblich, ihm einen Ausweg aus der Metaphysik anzubieten. „Der Jude, dem Heidegger auf dem seinsgeschichtlichen Weg begegnet, verwehrt ihm den Übergang, hindert ihn daran, die Quelle der Reinheit zu erreichen. Es ist, als ob der Jude ihn warnen würde: Quelle und Reinheit gibt es nicht. Es gibt weder Quelle noch Ursprung, weder Reinheit, noch Eigentlichkeit, weder Bodenständigkeit noch Autochthonie – weder für den Juden noch für den Deutschen noch für irgendwen. Diese Warnung klingt für Heidegger bedrohlich, zumal sie das zu artikulieren scheint, was der ‚Ruf des Gewissens‘ ihm schon seit langem und wiederholt sagte. Der Jude sagt ihm, dass seine ‚Entscheidung‘, oder besser, seine Scheidung, in der er sich dem Sein zuwendet, ein Holzweg ist.“ (264).

Wenn Heidegger ihm nur zuhören würde – seufzt DDC in ihrer erneuten Variation zum Thema – würde der figurale Jude seiner Philosophie eine „neue ‚Kehre‘ verleihen“ können (Di Cesare, 2015a: 87-88). Der von DDC skizzierte figurale Jude könne Heidegger nämlich helfen, den eigentlichen Weg der Dekonstruktion einzuschlagen, denn erst mit dem absolut Anderen des Judentums, sei es endlich möglich, das Sein zu unterminieren. Denn der Jude „setz[e] dessen [des Seins] Unversehrtheit und dessen Reinheit aufs Spiel, stürz[e] anarchisch seine arché um. Der Zusammenhang zwischen Judenfrage und Seinsfrage lieg[e] hier.“ (264)

Zwar hat Heidegger dem figuralen Juden nicht zugehört. Aber, trotz seiner gewaltsamen Ablehnung, habe er doch das tiefe Geheimnis des Juden erahnt, gibt DDC verhalten zu verstehen. „Da oben auf dem Weg, auf dem er allein dem Abgrund begegnet“ (265), habe Heidegger doch „intuitiv“ erkannt, „dass der Jude nicht der ontologische Feind“ sei, „keine Differenz“ sondern „die Grenze des Über, das nur der Andere in seinem Anderssein eröffnen kann“ (266). Obwohl er also die Ethik eines Levinas schon geahnt habe, konnte sich Heidegger nicht von dem Gewicht der Tradition befreien: „Doch Heidegger tritt zurück. Ihm ist das Sein wichtiger. Er lässt den Juden fallen. Dabei wiederholt er eine den Philosophen nur allzu vertraute Geste. Für den Juden gibt es keinen Platz in der Geschichte des Seins“ (266).

Und wieder kann DDC sich nicht erklären, warum ihr Meister trotz seiner tiefen apokalyptischen Intuitionen nicht konsequent sein konnte: „Heideggers Ausschließungsgeste ist umso beunruhigender, als sie in der dürftigen Zeit, in der Nacht der Welt, an der Grenze zum Abgrund vollzogen wird.“ (266). DDC zahlt allerdings den Preis dieser Inkonsistenz gerne, um in ihrem dichterischen Abgrunddialog die postmoderne Auslegung Heideggers zu retten, ohne seine uneingeschränkte philosophische Parteinahme für die antisemitische Weltanschauung zu leugnen. Erst dadurch kann sie aus dem Wahn des metaphysischen Antisemitismus Heideggers ihre postmoderne Offenbarung des anti-metaphysischen Geheimnisses des Juden mitteilen.

Das vierte und abschließende Kapitel des Buches, Nach Ausschwitz, verortet den Topos „Heideggers Schweigen“ in der deutschen Nachkriegszeit, die von einem schleichenden „Antisemitismus ohne Juden“, von Ressentiment und der Überzeugung, die eigentlichen Opfer zu sein, charakterisiert gewesen sei. In dieser Stimmung, die offensichtlich mit derjenigen Heideggers übereinstimmte, und die DDC zufolge stellvertretend für die ganze deutsche Nation steht, habe niemand Ausschwitz philosophisch gedacht: dies ist die schwerste Anklage, die DDC gegen die (deutsche) Philosophie erhebt.

Nur eine Handvoll Juden habe Ausschwitz gedacht. DDC stilisiert sie zu Figuren einer kosmopolitischen Diaspora von jüdischen Denkern hoch. Sie seien „keine Aufklärer“, sie „teilen den Fortschrittsmythos nicht und lesen die Geschichte vielmehr als eine ununterbrochene Reihe von Katastrophen“. Sie würden wissen, „dass die Barbarei die andere Seite der Moderne ist“ (271). Zu diesen Vertretern „eines ‚romantischen Antikapitalismus‘ und eines libertären Denkens“ sind „Schüler von Heidegger“ (272) wie Levinas, welcher die Philosophie des Nationalsozialismus ernst nahm, oder auch Taubes und Jonas, Forscher der Gnosis und der Apokalyptik, und nicht zuletzt Arendt und Benjamin zu zählen. Nur diese „Schüler“ haben den von dem Nationalsozialismus angefeuerten planetarischen Krieg als – in Jonas` Wortlaut – „den ersten Religionskrieg der Moderne“, das neue bellum judaicum, verstanden (274). Auf der einen Seite der Front befinden sich also die Schülers Heideggers, auf der anderen der besiegte Meister, der sich, so will es der von DDC mehrfach ausgeschmückte „regelrecht[e] Topos der Philosophie“ (277), hinter seinem Er-Schweigen verbarrikadierte. Auf dieses Schweigen möchte DDC durch die Schwarzen Hefte ein neues Licht werfen. Heideggers Schweigen sei zunächst durch seinen eigenen Begriff des Schweigens zu verstehen, dann durch die Figurationen des Schweigens der Konstellation Adorno, Celan und Heidegger. Diese Konstellation ist, mitsamt der darin verborgene Anarchie Heideggers, ist ein beliebtes Thema Trawnys (2014b; 2010).

Die auf der Rückseite gepriesene Erweiterung in Bezug auf die Schwarzen Hefte der Jahre 1942 bis 1948 ist in dieser Hinsicht weniger aussagekräftig als eine verschwiegene Selbstzensur ihrer eigenen Interpretation des meist stillen Dialogs zwischen Celan und Heidegger. Denn die italienische Fassung lässt die Möglichkeit noch offen, dass Heidegger eine Spur von Schamgefühl vor dem Übermaß einer Katastrophe – die er „in jenem Ausmaß hätte nicht ahnen können“ (2014a, 231-232) – gehegt habe. Sein Schweigen sei weder kaltes Desinteresse (wie bei Jünger), noch verächtliche Haltung (wie bei Schmitt), weder Weigerung noch Zurückhaltung, sondern Verzicht gewesen. Er habe nicht zugelassen, als Komplize der Judenvernichtung zu gelten, aber zugleich auch nicht versucht, damit nichts zu tun gehabt zu haben. Auf der Grundlage der Schwarzen Hefte (bis 1941) schien für DDC (2014a) seine Haltung konsequent gewesen zu sein: Heidegger konnte keine Verurteilung aussprechen, weil er kein Wort dafür finden konnte, wie Derrida es ausgedrückt hatte. Um diese These zu bestärken, schmückt DDC das Thema einer von ihr nicht belegten Randnotiz in der Ausgabe von Celans Meridian im Besitz Heideggers aus: Heidegger habe am Rande der Stelle, wo es bei Celan um das Dichten als eine Form des Entsprechens geht, „Ent-Sagen“ notiert: Heidegger habe also nicht verzichtet zu sprechen, sondern das Wort dem Dichter überlassen. Celan habe auf das Wort Heideggers gewartet. Heidegger habe aber gewusst, dass er dieses Wort Celan zugestanden habe. Als ob Heidegger Celan gebeten hätte: „Übersetze mich, wenn ‚Übersetzen‘ ‚Erlösen‘ bedeutet (2014a, 232-233). Ihre Strategie der hermeneutischen Entstellung tritt hier paroxistisch auf.

Anstelle dieser Verdrehung gibt nun DDC in der deutschen Fassung zu, dass sich Heidegger in den Schwarzen Heften doch eindeutig geäußert habe. Damit sei Celans Hoffnung „ein für allemal enttäuscht“ (285). Wie steht es aber mit der Hoffnung der Autorin, durch den figuralen Juden Heideggers Denken eine definitiv postmoderne Kehre zu verleihen? Anstelle einer Selbstkritik übernimmt die Autorin Heideggers Profilierung seines Schweigens als polemische Distanzierung vom öffentlichen Gerede. Denn Heidegger bezeuge in den erst 2015 veröffentlichten Überlegungen, dass er nicht etwa geschwiegen habe, weil ihm die Vorstellung fehlte (wie Derrida noch andeutete), sondern um „zu Zeiten“ zu reden, und zwar „in der Sage der Schrift“ (GA 97, 363). Nach diesen endgültigen Worten scheint es, als ob Heideggers Bitte an Celan um erlösende Übersetzung selbst von ihrem figuralen Puppentheater zu viel verlange. Mit Bedauern stellt sie also fest, dass „ein großer Topos der Philosophie des 20. Jahrhunderts: Heideggers Schweigen über Ausschwitz“ verschwunden sei (309-310). Verschwunden ist nun sicherlich auch einer der anspruchvollsten coup de théâtre ihres Buches.

Wie steht es mit diesem Schweigen, wenn Heidegger doch nie geschwiegen, sondern „zu verschiedenen Gelegenheiten […] sich auf direkte oder indirekte Weise geäußert“ habe? Der Brief über den ‚Humanismus‘ (1947) und Die Frage nach der Technik (1953) „erweisen sich, zumal wenn beide im Licht der Schwarzen Heften gelesen werden, als Selbstapologie“ (295). Diese eindeutige Aufklärung genügt DDC allerdings noch nicht. Nahtlos fügt sie ihre Verklärung an: In diesen Texten „versuch[e] er auch die durch die Shoah entstandenen philosophischen Fragen zu beantworten“ (295). Wie kann allerdings beides zugleich gelten: Selbstapologie und Besinnung auf Ausschwitz?

DDC stellt fest, dass Heideggers Äußerungen in dem Briefwechsel mit Marcuse und in den Bremer Vorträgen „nur die Spitze eines Eisbergs bilden, den die Schwarzen Hefte weiter auftauchen lassen“ (319). Das argumentative Rückgrat dieser längst bekannten und oft bagatellisierten Äußerungen liegt in der sturen Behauptung der wesentlichen Identität phänomenal unterscheidbarer Ereignisse. DDC gibt diese Äußerungen wieder, kommentiert sie und stellt sie in den hermeneutischen Kreis der Schwarzen Hefte. Als Marcuse ihn zur Rechenschaft zog, erwiderte Heidegger, dass das, was über das Regime der Verfolgung der Juden gelte, „genau so“ gelte, wenn „statt ‚Juden‘ ‚Ostdeutsche‘“ gesetzt werde, nur mit dem erschwerenden Umstand, dass die Verfolgung der Juden den Deutschen geheim gehalten wurde, während die Vertreibung der Ostdeutschen der Weltöffentlichkeit bekannt sei (GA 16, 31; 286). In Bremen hatte er dem Publikum eine Variation des Themas angeboten: „Ackerbau ist jetzt motorisierte Ernährungsindustrie, im Wesen das Selbe wie Fabrikation von Leichen in Gaskammern und Vernichtungslagern, das Selbe wie die Blockade und Aushungerung von Ländern, das Selbe wie die Fabrikation von Wasserstoffbomben“ (GA 79, 27; 290).

Die hermeneutische Nebeneinanderstellung hindert DDC allerdings nicht daran, sich Heideggers sogenannter Kritik der Technik, deren Kern gerade in diesem zynischen „das Selbe“ liegt – in der vermeintlich provokativen Aufforderung, jeden Unterschied zu übersehen, den Phänomenen jeden Wahrheitswert abzustreiten – weiterhin philosophisch auszuliefern, in dem sie fragt: „Doch wer oder was provoziert hier? Heidegger? Oder steckt die Provokation nicht vielmehr im Gestell selbst? Beschränkt sich der Philosoph nicht nur darauf, die nivellierende Macht des Gestells zutage zu fördern?“ (290). Heidegger mache also nichts anderes als das Wesen der Technik „zur Sprache zu bringen“. Auch wenn es für uns hart klingen mag, von einer Gleichsetzung von Ackerbau und Vernichtungsfabrik zu hören, erklärt DDC: „Wer den Vergleich zurückweist, ignoriert die Logik der Sache. Er weicht dem aus, was die Provokation zu denken geben will. Er verschließt die Augen vor der Gefahr“ (291). Aber wer spricht hier? Heidegger? DDC? Oder eine ihrer Figurationen? Oder vielleicht doch niemand. Denn das Spiel besteht nämlich darin, nichts direkt auszusagen, sondern durch Fragen Unterstellungen zu erwecken, deren Behauptung lediglich in der logischen und moralischen Verantwortung des Zuhörers liegt. Wer nur provokativ fragt, entzieht sich der Verantwortung. Und worin soll denn überhaupt Heideggers Provokation bestehen? In seinen Äußerungen kommt vielmehr eine ambivalente Verschwiegenheit trotz der unverhohlenen revisionistischen Absicht der stetigen argumentativen Um- und Entstellung zutage. Was heißt denn sonst, dass „vom Wesen der Technik eher […] einzig die Entfremdung des Daseins vom Sein zählt [?] Und so wie der Jude, dieser Entfremdung bezichtigt, fallen gelassen wird, so wird die Vernichtung im nivellierenden und anästhetisierenden Blick des Seinsphilosophen zu einer Erscheinung wie jede andere. Sie wird ontisch indifferent“ (291)?

Obwohl sie seine Indifferenz ablehnt, bewundert DDC Heideggers Gelassenheit und schreibt sie der Metaphysik zu, denn der Grund seiner Gleichgültigkeit gegenüber der Shoah liege in der „unerschütterlich fort[schreitenden Seinsgeschichte], metaphysisch gerichtet in einer Kontinuität mit Nietzsche, mit Hegel und sogar mit Platon“ (291). Das philosophische Projekt, das mit sich die Vernichtung aller Unterschiede und Singularitäten bringt, wurde wortwörtlich in der Endlösung umgesetzt: „Die Vernichtung, die keiner Logik, sei sie politisch, ökonomisch, gesellschaftlich oder militärisch, gehorcht, entspricht der Ontologie. Sie ist in der Geschichte der abendländischen Metaphysik eingeschrieben. In diesem Sinn pointiert Lacoue-Labarthe: ‚Die Apokalypse von Ausschwitz hat nicht mehr und nicht weniger enthüllt als den Grund (essence) des Abendlands‘“ (294).

Wenn Ausschwitz für DDC „mit der Seinsvergessenheit zusammenzuhängen“ (294) scheint – im Original bezeichnete sie diesen Zusammenhang sogar als „nach den Schwarzen Heften mehr denn je unbezweifelbar“ (240) –, könnte der Grund nicht einfach darin liegen, dass die Seinsvergessenheit integraler Bestandteil der Henkerideologie war? Heideggers Unterscheidung zwischen dem eigentlichen Sein-zum-Tode und dem man, das nicht sterben kann, scheint nämlich zu belegen, dass er die Koordinaten der ‚Religion des Todes‘ teilte und philosophisch übersetzte, die in der antisemitischen ‚Kultur von rechts‘ auf dem Kontinent Erfolge feierte (Jesi 1979) und in den Vernichtungslagern umgesetzt wurde (Nesi 2014), bevor sie sich durch Umwege zur Kontinentalphilosophie verwandeln konnte. Es überrascht also nicht, dass Heidegger die „ontologischen Koordinaten“ anbietet, um Primo Levi zu verstehen, welcher über die Gefangenen schrieb: „Man zögert, sie als Lebende zu bezeichnen; man zögert ihren Tod […] als Tod zu bezeichnen“ (298). Es überrascht vielmehr, dass DDC die Tiefe einer solchen Ontologie bewundern kann, indem sie die gewaltsame Einprägung der Logik des Parmenides aus Meßkirch in die Worte der Opfer als eine „suggestive Verwandtschaft“ deuten will (299).

Dies ist nur möglich, wenn man weiterhin an der Seinsgeschichte, an dem Geschick der Metaphysik und an der Machenschaft der Technik trotz jedes Gegenbeweises festhält. An Heideggers vermeintliche Philosophie der Technik zu glauben, heißt, seinen revisionistischen Irreführungen wie tiefsinnigen Holzwegen zu folgen. Nie scheint DDC auf die Idee zu kommen, dass „der esoterische Begriff des ‚Gestells‘“ doch das Ziel haben könnte, den Unterschied zwischen Opfern und Henkern, den sie auf keinen Fall übersehen möchte, eben zu verwischen. In ihrer Interpretation bekommt Heidegger die Konturen eines tragischen Heilands, „der über den Lauf der Geschichte wacht“, dem nicht entgehen könne, „dass nur ein außerordentliches Ereignis die Rettung bringen könnte“ (305): die Sprache seiner (Un)Heilsgeschichte wird von DDC in einer Weise weitergesponnen, die den Eindruck erweckt, als würde sie selbst daran glauben. Das geht aus ihrer Interpretation der Aufzeichnungen hervor, die Heidegger während des Krieges schrieb: es seien Belege der Verstrickung der „Geschichte des Seyns mit der Deutschlands“ (305).

Ihre hermeneutische Analyse der Schwarzen Hefte wird in der deutschen Fassung in Bezug auf die Überlegungen II-VI (1942-1948) erweitert (304-337). Die grausamste dieser Überlegungen, die Rede der „Selbstvernichtung“ der Juden, wurde schon im Februar 2015 vor der Veröffentlichung des neuen Bandes der Gesamtausgabe (GA 97) von DDC selbst im Feuilleton des Corriere della Sera enthüllt und mit einer knappen Darstellung ihrer These des metaphysischen Antisemitismus veröffentlicht (Di Cesare 2015b). Heidegger zufolge bestehe der höchste politische Akt darin, den Gegner zur Selbstvernichtung zu zwingen. Die Endlösung der Judenfrage kulminiere deshalb, „wenn erst das wesenhaft „Jüdische“ im metaphysischen Sinne gegen das Jüdische“ angefeuert wird (GA 97, 20; 310). Erst wenn alles Uneigentliche, was aus den „Juden“ stammt (von der Technik bis hin zur Metaphysik) gegen die Juden selbst gewandt wird, sei ein neuer geschichtlicher Anfang möglich. Dennoch, obwohl die Endlösung als „Ereignis in der Seynsgeschichte eingeschrieben“ war, kommentiert DDC, ereignete sich dieser neue Anfang nicht. Es sei nämlich ein jüdischer Rest übriggeblieben, welcher den Abschluss des Kreises hinderte (311). Nach der bedingungslosen Niederlage wurde das Prinzip der Selbstzerstörung in Heideggers Aufzeichnungen eine Bedrohung für die Deutschen selbst: Die Alliierten versuchten ihm zufolge, die Deutschen zur Untreue zu sich selbst zu zwingen, zur „Uneigentlichkeit“, zur „Verräterei am eigenen Wesen“. Darum sei den Deutschen auf Plakaten die Greuel der Vernichtungslager zu zeigen „blindwütiger“, „zerstörischer“ als die Politik des Dritten Reichs (GA 97, 84-85; 316).

Durch die Exegese der Schwarzen Hefte kommt DDC zuweilen in einen Zustand hermeneutischer Mimikry, welche zum geschmacklosen Chauvinismus wird: „Das Schicksal des Philosophen ist dem seines Volkes gleich; die Identifizierung total“ (315). Denn Heideggers Notizen würden „einen Schleier“ zerreißen: „Sie zwingen dazu, eine Erzählung zu lesen, die sich an künftige Generationen wendet. In ihr artikuliert Heidegger Gefühle, Gedanken und Ängste eines besiegten Volkes, das sich in das Ressentiment zu flüchten versucht.“ (335). Die Schwarzen Hefte seien ihr zufolge „die Geschichte einer Rache, die die Deutschen infamerweise dem alten jüdischen Geist und dem, was von ihm nach Ausschwitz übrig bleibt, zuschrieben“ (338). Ihr j’accuse ist also nicht nur der abendländischen Metaphysik, von Plato bis Hitler, sondern auch an den Deutschen gerichtet. Nur Heidegger scheint durch die postmoderne ‚Kehre‘, die ihm ihr figuraler Jude anbietet, gewissermaßen von der Schmach der eigenen „Sage der Schrift“ verschont zu bleiben.

Die Widersprüche ihres Versuchs, ihre Sensibilität für die Opfer der Shoah mit der Bewunderung für ihren postmodern bunten Heidegger zu versöhnen, treten noch deutlicher zutage, wenn sie über das Bedürfnis eines ganz anderen Denkens“ (344) spekuliert: nachdem „die Grundsätze, die die Philosophie für geltend gehalten hatte, […] die Probe von Ausschwitz nicht bestanden“ haben, sei die Schuld der Metaphysik offenbar geworden (346). Erst das jüdische Denken könne das ‚neue Denken‘ sein, „das sich nicht mehr der Philosophie von Aristoteles oder Hegel unterwerf[e], sondern umgekehrt die ganze metaphysische Tradition in Frage stell[e]“ (344). Das Judentum sei also „ein unassimilierbarer Rest“, „die Öffnung, die die abendländische Zivilisation an der Abdrift in einen totalitären und totalisierenden Universalismus“ hindere (346). Von Lévinas bis Derrida, lasse „die jüdische Subversion die Achse des Seins brechen“ (347). Wenn also Heidegger die Unwirksamkeit des griechisch-christlichen Gottes des Abendlands beklage, sanktioniert DDC den Tod des offen antisemitischen Gottes des heidnischen, germanisierenden Christentums wegen der Darbringung des Judenopfers, welcher das Schicksal des Abendlandes in den Vernichtungslagern vollendet habe (365-366).

Ihr freiwilliges Unterjochen unter die Zwänge der Seynsgeschichte führt die Autorin also zu paradoxalen Ergebnissen: die Identifikation des ganzen Abendlandes mit dem Judenopfer der nationalsozialistischen Gnosis, das wiederum mit der von Heidegger spekulierten Onto-Theo-Logie der Metaphysik gleichgesetzt wird. Um die Seinsfrage in die Judenfrage einzuschreiben, behält DDC sein Narrativ bei und verkehrt Heideggers metaphysischen Antisemitismus in postmetaphysischen Philosemitismus. Damit setzt sie dieselben essentialistischen Voraussetzungen, die sie ablehnen möchte.

Zum Schluss kommt ihr letzter coup de théâtre: die Figur des neuen Anfangs am Abgrund. DDC schlägt mit Schürmann einen „anderen Anfang“ vor, als jüdischer und daher „anarchischer“ Anfang, „weil er sich über einem Abgrund sammelt, der ihn bedroht“. Denn die Eigentlichkeit sei doch „das Aushalten dieser Anarchie“ (366). Indem sie betont, dass Heidegger „An-fang“ mit dem Bindestrich schrieb, um mit diesem „trait d’union“ auf „die abgründige Öffnung jedes Anfangs hin[zudeuten]“, der „keine metaphysische Solidität“ habe, dichtet sie inspiriert: „In der Nacht der Welt, in der dürftigen Zeit, hat Heidegger eine Eschatologie des Seyns umrissen, indem er, wie wohl kein anderer, bis zu den Grenzen des Abend-Landes vorgedrungen ist, um von da aus den Abgrund zu erblicken“ (369). Das Epos eines „Engels im Schwarzwald“ folgt, in dem die Stimmen Heideggers, Hölderlins und Benjamins tragikomisch in Einklang gebracht werden. Diesen Genuss wollen wir aber als Belohnung dem deutschen Leser überlassen, welcher sich mühsam durch all die Kapitel des Buches durchgearbeitet hat, worum ihn DDC im ersten Satz des Vorworts ausdrücklich bittet.

Bevor wir zum Schluss kommen, nur ein paar Anmerkungen zu der Übersetzung. Die deutsche Fassung stumpft leider die anspielungsreichen, lyrischen Töne des Originals ab. Einige Indikative sind zu Konjunktiven der indirekten Rede geworden und umgekehrt. Kleine Übersetzungsfehler verschärfen manchmal ihre gewagten Thesen, wie z.B. wenn gesagt wird, dass die an die Juden adressierte Forderung zu verzeihen „gerade in Deutschland erhoben“ (338) wurde, während im Original es nur darum ging, dass „bald auch in Deutschland“ („presto anche in Germania“ 249), also nicht gerade oder sogar in Deutschland, sondern eben auch dort diese Frage aufgeworfen wurde. Anspielungen werden entstellt, z.B. als „Se metafisica è la questione ebraica, metafisica è anche la soluzione“ (238) mit „wenn die Judenfrage metaphysisch ist, dann ist es auch ihre Antwort (sic!)“, womit das Wortspiel mit „Endlösung“ (soluzione finale) im Incipit des Paragraphen unterschlagen wird (292). Von den Klein- und Großschreibungsfehlern, sei auf einen bezeichnenden Tippfehler verwiesen: Bei der Erklärung der Substitutionstheologie ist die Rede von der Übertragung der Auserwählung „auf das‚ versus (sic!) Israel‘, d.h. auf die Kirche“ (333).

Schließlich, nach der Lektüre von Heidegger, die Juden, die Shoah, kann man nichts anderes sagen, als dass es sich um ein außerordentliches Buch handelt, dessen argumentative Kurzschlüsse immerhin den Wert haben, anregende Assoziationen anzubieten, die zu kritischer Überlegung auffordern. Jedoch zieht DDC aus ihren hermeneutischen Aneinanderreihungen meist Schlussfolgerungen, die im – logischen und moralischen – Widerspruch sowohl zu ihren als auch zu Heideggers Absichten stehen. Wenn ein Interpretationsschema des Werks Heideggers durch die Schwarzen Hefte definitiv implodiert, ad absurdum geführt wird, so ist es sicherlich das postmoderne. Der vergebliche Versuch von DDC, diese Lektüre dennoch retten zu wollen, ist geradezu lächerlich.

Auf jeden Fall ist jedoch ihre Hervorhebung der Relevanz der religiösen und theologischen Figurationen, um Heideggers Verstrickung mit dem Nationalsozialismus zu verstehen, ernst zu nehmen, wobei vielleicht ein bisschen mehr Demut vor der historiografischen Forschung vonnöten wäre. Vielleicht wegen dieser Geringschätzung historischer Fakten, hat sie nicht gemerkt, dass in ihrer Übersetzung der knappen Zusammenfassung von Farias Biografie Heideggers die Jahreszahl und damit auch ihre Reihenfolge durcheinander gebracht wurden: 1909 wird zu 1919, 1910 zu 1915 (351).

Offen bleibt nur die Frage: wer will eigentlich Heidegger für die eigene Weltanschauung zähmen? Wer will aus ihm „einen harmlosen Phänomenologen“ machen (41) – egal ob es noch geht bzw. ob es je ging –, oder wer ihn in die schillernden Kleider des postmodernen jüdisch-anarchischen Denkens zwingen?

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[1]           Eine Kostprobe ihrer mit Anspielungen gespickten Sprache haben wir bereits in Di Cesare (2014b; 2007).

[2]           Verweise ohne Angabe gelten im Folgenden für Di Cesare 2016.

[3]           Die Suchfunktion ist für die nach der Veröffentlichung des italienischen Originals erschienen Überlegungen bis 1948 (GA 97) anscheinend nicht mehr betätigt worden.